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Zoologie

Scheue Fische lassen sich schlechter zählen

In befischten Gebieten führen Verhaltensänderungen zu ungenauen Fangzahlen

Ein Schriftbarsch in seinem natürlichen Lebensraum vor Mallorca. © Josep Alós

Genauer nachgezählt: Fische in stark befischten Gebieten gehen seltener an den Haken und verzerren damit die Fangzahlen. In ungestörten Schutzgebieten voller unvorsichtiger Fische lassen sich daher doppelt so viele Tiere fangen wie in den für Angler freigegebenen Küstenabschnitten – obwohl die Bestände überall gleich groß sind, wie eine Studie vor Mallorca nun zeigt. Fangzahlen sind als Erhebungsmethode für Fischbestände zu ungenau und müssen überdacht werden, fordern die Forscher.

Wie stark die Ozeane der Welt überfischt sind, schätzen Wissenschaftler oft anhand von Fangdaten ab. Die Annahme dabei ist: Je weniger Fische einer Art die Fischer in einer gewissen Zeitspanne fangen, desto kleiner ist der Bestand dieser Art in dem jeweiligen Gebiet. Damit die Fischbestände nicht zu stark sinken, gibt es an den Küsten der Insel Mallorca mehrere Meeresschutzgebiete. Der in dem Urlaubsparadies beliebte Angelsport ist an diesen Küstenabschnitten nur eingeschränkt möglich. Und tatsächlich: Fängt man in den Schutzgebieten Fische, um den Bestand zu überprüfen, so fallen die Zahlen höher aus als an den stark befischten anderen Küsten.

Aggressive Jäger, vorsichtige Sammler

Wissenschaftler um Josep Alós vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin haben nun überprüft, wie gut diese Fangzahlen tatsächlich die Menge der vor Ort lebenden Fische widerspiegeln. Dazu untersuchten sie mit Videoaufnahmen, wie Fische in 54 verschiedenen Küstenregionen auf mit Ködern bestückte Angelhaken reagieren. Gleichzeitig zählten sie auch die Fische, um unabhängig von deren Fangdaten die Häufigkeit zu ermitteln.

Die Forscher konzentrierten sich dabei auf zwei Fischarten: Die Ringelbrasse lebt vor allem von sesshaften Algen und Muscheln. Sie geht bei der Nahrungssuche eher vorsichtig vor – da sie eher sammelt als jagt, kann sie sich Zeit lassen. Der Schriftbarsch kann sich diese Ruhe nicht leisten: Er ist ein fleischfressender Jäger – wartet er zu lange, so schwimmen ihm die als Beute bevorzugten kleinen Fische und Krebse einfach davon.

Scheue Fische sind schwerer zu fangen

Beide Fischarten sind etwa gleich groß und bevölkern denselben Lebensraum. Der Schriftbarsch verhält sich jedoch viel aggressiver als die Ringelbrasse. Allerdings gibt es auch innerhalb der Art unterschiedliche Charaktere von Fischen: Manche gehen besonders schnell und aggressiv vor, andere verhalten sich scheuer. Und jeder Angler weiß: Scheue Fische sind schwerer zu fangen.

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Eine ausnahmsweise unvorsichtige Ringelbrasse, die den Forschern an den Haken ging. © Josep Alós

Beim Schriftbarsch zeigte sich ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen dem Verhalten gegenüber dem Köder und der Intensität, mit der eine Küstenregion befischt wird: Während die Barsche in Meeresschutzgebieten aggressiv die Köder attackierten, taten sie das in den befischten Gebieten kaum mehr. Dort gingen sie eher mit Bedacht vor. Die Ringelbrasse dagegen verhielt sich überall gleichermaßen scheu und war dementsprechend schlecht zu fangen.

Fangraten zeigen Fischbestände nur ungenau an

Das scheuere Verhalten der Schriftbarsche in den befischten Gebieten hat einen entscheidenden Effekt: Die Fangrate der Barsche ist dort nur etwa halb so groß wie in den Meeresschutzgebieten. Das liegt allerdings nicht daran, dass es dort weniger Fische gibt – unter Wasser tummeln sich in allen Gebieten ähnlich viele Fische. Die Tiere in den befischten Arealen schlagen dem angebotenen Haken schlicht häufiger ein Schnippchen.

Diese Ergebnisse widersprechen somit früheren Studien, die anhand der Fangdaten von einem deutlich höheren Bestand in den Schutzgebieten ausgingen. Die Fangraten waren dort aber nur deswegen höher, weil die Schriftbarsche weniger scheu sind, nicht weil sie in Schutzgebieten häufiger vorkommen.

„Unfangbarkeit“ steigt durch Selektion

Die Forscher haben zwei mögliche Erklärungen für diesen Effekt: Die erste ist, dass die aggressivsten Fleischfresser unter den Schriftbarschen in den befischten Regionen zuerst weggefangen und damit ausselektiert werden. Es überleben und vermehren sich vor allem die Exemplare, die mehr Gene für Vorsichtigkeit in sich tragen. Damit steigt die „Unfangbarkeit“ der Barsche in der Region innerhalb weniger Generationen an.

Die zweite Erklärung ist, dass die Fische mit der Zeit lernen, wie gefährlich ein Haken mit Köder für sie ist. Dadurch würden alle Fische eines Gebietes mit vielen Anglern mit der Zeit scheuer. Die Forscher gehen jedoch davon aus, dass in diesem Fall auch die Ringelbrasse ihr Verhalten merklich geändert hätte. Da die Brassen aber offenbar von der Befischung vollständig unbeeindruckt bleiben, halten die Wissenschaftler die erste Möglichkeit, die Selektion zugunsten der scheueren Fische, für den wichtigeren Faktor.

Mehr Fische in überfischten Gebieten als gedacht?

Das Studienergebnis hat möglicherweise weitreichende Folgen: Es deutet daraufhin, dass Fangzahlen nur ein unzureichendes Maß für die tatsächlichen Fischbestände sind. „Die Ergebnisse lassen vermuten, dass in stark befischten Gebieten die Fangraten einiger Fische stark zurückgehen können, ohne dass die Fischbestände proportional sinken“, kommentiert der Erstautor Alós.

Dies macht einerseits Hoffnung: „Vielleicht beherbergen befischte Gebiete mehr Fische als wir manchmal glauben“, so Studienleiter Robert Arlinghaus von der Humboldt-Universität zu Berlin. Allerdings müssten auch die Erhebungsmethoden überprüft und das rasch angepasste Verhalten der Fische mit einbezogen werden. (Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences, 2014; doi: 10.1139/cjfas-2014-0183)

(Forschungsverbund Berlin e.V., 20.05.2015 – AKR)

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