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Medizin

Hautcreme-Wirkstoffe gegen Multiple Sklerose?

Aktivierte Stammzellen regenerieren zerstörtes Nervengewebe im Tierversuch

Bei Multipler Sklerose zerfallen die isolierenden Myelin-Schichten um die Nervenbahnen. Aktivierte Stammzellen können diese Schäden beheben. © Case Western Reserve University / Megan Kern

Unverhoffte „Nebenwirkung“: Zwei Medikamente gegen Hautkrankheiten könnten offenbar auch bei Multipler Sklerose helfen. Die Wirkstoffe machen den Verfall der Nervenbahnen zumindest im Tierversuch rückgängig, wie US-Mediziner herausgefunden haben. Von der Hautcreme bis zur sicheren Therapie gegen Multiple Sklerose seien allerdings noch weitere Untersuchungen nötig, schreiben die Forscher im Magazin „Nature“.

Muskelschwäche bis hin zu Lähmung, gestörte Feinmotorik und Balance, Sehstörungen – solche und weitere Symptome bei Multipler Sklerose (MS) lassen sich bislang bestenfalls aufhalten, aber nicht rückgängig machen. MS ist die häufigste chronische Nervenkrankheit unter jungen Erwachsenen, weltweit sind Millionen Menschen davon betroffen.

Defekte Isolierung zerstört Nerven

Die Ursache der Krankheitssymptome liegt nicht in den Nerven selbst, sondern vielmehr in ihrer Isolierung: Spezialisierte Zellen umhüllen im gesunden Nervensystem die Nervenbahnen mit sogenanntem Myelin. Ohne diese isolierende Schutzschicht funktioniert die Übertragung von Nervensignalen nicht mehr. Bei MS sterben genau diese Myelin-produzierenden Zellen ab. Der genaue Mechanismus ist noch unklar, offenbar handelt es sich aber um eine Fehlfunktion des Immunsystems – die Hüll-Zellen werden von Immunzellen des eigenen Körpers abgetötet.

Bei bisherigen Therapien zielen Mediziner vor allem darauf ab, den Zerfall des Nervensystems zu stoppen. Als vielversprechende Methode, die Funktion der Nerven auch wieder herzustellen, gilt die Transplantation von Stammzellen in das zerstörte Gewebe. Dies ist jedoch bislang leider Zukunftsmusik. „Wir haben uns gefragt, ob wir nicht einen schnelleren und weniger invasiven Ansatz finden, indem wir eigene Stammzellen des Nervensystems mit Medikamenten dazu aktivieren, neues Myelin zu bilden“, sagt Paul Tesar von der Case Western Reserve School of Medicine in Cleveland.

Eine demyelinisierte Läsion im Gehirn eines MS-Patienten © Marvin 101/ CC-by-sa 3.0

Geheilte Lähmung im Tierversuch

Bekanntermaßen bilden sich im Nervensystem von MS-Patienten zwar Vorläufer der Myelin-Zellen – diese nehmen aus unbekannten Gründen jedoch nicht die Arbeit auf. Diese Vorläufer wollten Tesar und seine Kollegen aktivieren. An Kulturen dieser Zellen überprüften sie darum die Effekte von über 700 verschiedenen Medikamenten, die bereits auf dem Markt sind.

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Die Forscher wurden gleich zweimal fündig: Miconazol ist eigentlich ein Mittel gegen Fußpilz, während das Steroid Clobetasol zur Behandlung von Hautkrankheiten wie der Schuppenflechte dient. Beide Wirkstoffe schienen jedoch auch die Zellkulturen zu aktivieren. Als nächstes überprüften die Mediziner darum, ob diese Wirkung auch im Tierversuch auftritt. Und tatsächlich: In den behandelten Mäusen bildeten sich neue Myelinschichten um die Nerven, und die Versuchstiere konnten ihre zuvor gelähmten Hinterbeine wieder gebrauchen.

So schnell wie möglich klinische Studien

Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse mahnt Tesar noch zu Vorsicht und Geduld: Beide Wirkstoffe seien bislang allein zur äußeren Anwendung als Pulver oder Creme zugelassen. Die Effekte beispielsweise bei Injektionen im Menschen seien noch völlig unbekannt. „Wir verstehen, dass einige Patienten und ihre Familien kaum auf die Entwicklung spezifisch zugelassener Medikamente warten wollen“, sagt Tesar. „Aber die Off-Label-Verwendung der aktuellen Formen dieser Medikamente verstärkt wahrscheinlich eher andere Gesundheitsprobleme, statt MS-Symptome zu verringern.“

Da aber beide Mittel offenbar durch völlig verschiedene molekulare Mechanismen wirken, bieten sich den Forschern viele Ansatzpunkte. In weitere Untersuchungen wollen sie einerseits weitere Mittel finden, und andererseits die gefundenen Wirkstoffe zu sicheren Medikamenten weiter entwickeln. Klinische Studien mit MS-Patienten sollen so schnell wie möglich folgen. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14335)

(Case Western Reserve University / NIH/National Institute of Neurological Disorders and Stroke, 21.04.2015 – AKR)

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