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Astronomie

Dunkle Materie weniger dunkel?

Erstes Indiz für Wechselwirkung der Dunklen Materie mit sich selbst

Der Galaxiencluster Abell 3827: In seinem Zentrum kollidieren vier gigantische Galaxien miteinander - und mit ihnen ihre Dunkle Materie © ESO

Ausgebremst: Astronomen haben erstmals ein Indiz dafür entdeckt, dass die Dunkle Materie mit sich selbst wechselwirkt. Denn bei der Kollision von vier fernen Galaxien hängt ein Klumpen der Dunklen Materie leicht hinter seiner Galaxie hinterher. Das könnte darauf hindeuten, dass er ausgebremst wurde – durch eine Wirkung der Teilchen der Dunklen Materie untereinander. Sollte sich dies bestätigen, wäre dies der erste Beweis für eine Wechselwirkung der Dunklen Materie mit etwas anderem als der Schwerkraft.

Die Dunkle Materie gibt noch immer Rätsel auf: Wir wissen nicht, woraus sie besteht und auch ihr Verhalten ist nur in Teilen bekannt. Klar schien bisher nur, dass sie außer mit der Schwerkraft mit kaum etwas sonst wechselwirkt. Erst vor kurzem deutete zudem eine Studie darauf hin, dass Dunkle Materie nicht einmal mit sich selbst reagiert. Bei den Kollisionen von Galaxienhaufen bremsten sich die Anteile der Dunklen Materie nicht gegenseitig aus – die Teilchen der Dunklen Materie schienen sich demnach nicht gegenseitig zu beeinflussen.

Vierfach-Kollision

Doch jetzt haben Richard Massey von der Durham University und seine Kollegen ein Phänomen beobachtet, das dem zu widersprechen scheint. Entdeckt haben sie es im rund 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen Abell 3827. In diesem Haufen kollidieren gleich vier elliptische Galaxien miteinander, die hellen Kerne dieser Sternenansammlungen liegen dadurch sehr eng beieinander – eine seltene Konstellation.

Und noch eine Besonderheit kommt hinzu: Eine massereiche Galaxie steht von uns aus gesehen direkt vor dem Galaxiencluster und wirkt wie eine Gravitationslinse: Ihre Schwerkraft vergrößert den fernen Cluster und ermöglicht es so, seine innere Struktur zu kartieren und auf die Verteilung der Dunklen Materie zu schließen. Genau dies haben Massey und seine Kollegen nun mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops der NASA und spektroskopischer Messungen mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile getan – mit einem überraschenden Ergebnis.

Verteilung der Dunklen Materie in Abell 3827. Bei der linken Galaxie ist die Dunkle Materie leicht verschoben. © Richard Massey/ ESO

Ein Klumpen hängt hinterher

Wie die Auswertung über zwei verschiedene Methoden ergab, liegt ein Klumpen Dunkler Materie im Galaxienhaufen nicht dort, wo man ihn erwartet hätte. Stattdessen hängt er seiner Galaxie um rund 5.000 Lichtjahre hinterher, wie eine Diskrepanz zwischen Gesamtmasse und beobachtbarer „leuchtender“ Masse verrät. „Dass beide Methoden gut übereinstimmen, spricht dafür, dass diese Abweichung real ist“, konstatieren die Forscher.

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Eine solche Diskrepanz jedoch gilt als ein mögliches Anzeichen dafür, dass sich die Dunkle Materie der Galaxien bei einer solchen Kollision doch nicht reibungslos durchdringt. „Wenn die Dunkle Materie eine Wechselwirkung mit sich selbst hat, die nicht gleich Null ist – selbst wenn sie nur sehr klein ist, dann würde die in den Cluster hineinfallende Dunkle Materie hinter den alten Sternen hinterherhängen“, erklären Massey und seine Kollegen. Und genau das scheinen sie nun bei Abell 3827 beobachtet zu haben.

Wechselwirkung mit sich selbst?

Nach Ansicht der Forscher könnte ihre Beobachtung ein erstes Indiz dafür sein, dass die Dunkle Materie doch noch mit etwas anderem interagiert als nur der Schwerkraft. Sie interpretieren die Verzögerung als Folge einer schwachen Wechselwirkung der Teilchen der Dunklen Materie untereinander, die bei der Kollision eine Art Reibung und damit einen Bremseffekt erzeugt. „Man könnte das als Beweis für eine mit sich selbst interagierende Dunkle Materie sehen“, so die Astronomen.

Diese Beobachtung könnte der erste Beleg für eine Wechselwirkung der Dunklen Materie mit etwas anderem als der Schwerkraft sein. „Dunkle Materie ist damit vielleicht doch nicht so dunkel“, konstatiert Massey. Noch allerdings sind weitere Untersuchungen nötig, wie die Astronomen betonen. Mit ihnen wollen sie andere Effekte ausschließen, die ähnliche Diskrepanzen zwischen Dunkler Materie und sichtbarer Masse verursachen könnten.

Faktor Zeit entscheidend

Auch warum dieser Effekt bei der Kollision ganzer Galaxiencluster nicht auftrat oder zumindest nicht gemessen werden konnte, ist noch unklar. Die Forscher vermuten aber, dass der Faktor Zeit dafür eine Rolle spielen könnte: Die Kollision im Cluster Abell 3827 hält schon sehr lange an, möglicherweise konnte sich dadurch der winzige Effekt lange genug addieren, um messbar zu werden.

Bei den Cluster-Kollisionen reichte die Zeit möglicherweise noch nicht aus, um die Dunkle Materie weit genug zurückhängen zu lassen. Kombiniert man beide Beobachtungen, könnte dies aber helfen, das Ausmaß des Effekts näher einzugrenzen. „Wir kreisen die Dunkle Materie nun von unten und von oben ein“, sagt Massey. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2015; doi: 10.1093/mnras/stv467)

(ESO/ Durham University, 15.04.2015 – NPO)

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