Es klingt ein wenig nach Science Fiction: Wie sicher oder ruckartig ein Fahrer sein Auto steuert, lässt sich vorhersagen. Schwedische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass schon die Geschwindigkeit zu Beginn einer Lenkbewegung verrät, wie weit der Fahrer das Lenkrad drehen will. Neue Sicherheitssysteme sollen dieses Prinzip in Zukunft nutzen, um Unfälle zu vermeiden.
Ein Auto fährt gleichmäßig um eine leicht geschwungene Kurve. Dieser alltägliche Vorgang ist komplizierter, als er zunächst erscheint: Der Fahrer steuert das Auto nämlich alles andere als kontinuierlich und gleichmäßig. Stattdessen korrigiert er ständig den Kurs in relativ kleinen, eher ruckartigen Bewegungen, um das Auto in der gewünschten Spur zu halten und zum Ziel zu lenken. Dieses Verhalten ist bereits seit über 60 Jahren bekannt, war allerdings bislang nicht näher erforscht.
Entfernung bestimmt Geschwindigkeit
Ola Benderius von der Technischen Hochschule Chalmers im schwedischen Göteborg hat diese ruckartigen Lenkbewegungen nun enträtselt. Der entscheidende Hinweis kam von einem viel einfacheren neurologischen Vorgang als dem Steuern eines Autos: Schon wenn wir bloß nach einem nahegelegenen Gegenstand greifen, verhalten wir uns ähnlich.
Die Geschwindigkeit der Bewegung dabei ist nämlich nicht immer dieselbe – sie hängt von der zurückgelegten Entfernung ab. Nach einem Stift am Ende des Schreibtischs greifen wir schneller als nach der Kaffeetasse direkt neben dem Ellenbogen. Dazu ist aber eine wichtige neurologische Leistung nötig: Bereits wenn wir die Hand ausstrecken, bestimmen wir die Geschwindigkeit und legen damit auch die Entfernung fest. Interessanterweise bleibt dadurch die benötigte Zeit ungefähr gleich, egal wie weit wir greifen.
„Als ob man in die Zukunft blickt“
Benderius analysierte aufgezeichnete Daten von rund 1,3 Millionen Lenkmanövern aus insgesamt über eintausend Stunden Fahrzeit. Dabei stellte sich heraus: 95 Prozent dieser Korrekturen entsprachen genau dem Verhalten beim Greifen. Je weiter ein Fahrer das Lenkrad drehte, desto höher war die Geschwindigkeit der Bewegung.
„Man kann vorhersagen, wie weit ein Fahrer das Lenkrad drehen wird, schon wenn die Person die Drehbewegung beginnt“, sagt Benderius. „Es ist, als ob man in die Zukunft blickt.“ Dieses Verhalten scheint angeboren zu sein: In früheren Untersuchungen fand Benderius ähnlich koordinierte Bewegungen bereits bei Zwölfjährigen.
Auf dieser Grundlage hat Benderius ein mathematisches Modell entwickelt, mit dem sich die Reaktion eines Fahrers in verschiedenen Situationen frühzeitig erkennen lässt. Damit, so der Wissenschaftler, seien völlig neue Sicherheitssysteme möglich: Zum Beispiel neigt ein übermüdeter Fahrer, der plötzlich aufwacht, zu reflexartigen und übertrieben starken Lenkbewegungen. „Da wir nun vorhersagen können, wie weit der Fahrer das Lenkrad drehen wird, können die Systeme des Fahrzeugs eine Fehlentscheidung erkennen und verhindern“, erklärt Benderius. Viele schwere Unfälle könnten sich so verhindern lassen.
(Chalmers University of Technology, 05.01.2015 – AKR)