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Psychologie

Körpertausch baut Vorurteile ab

Experiment zeigt Zusammenhang zwischen Vorurteilen und Selbstbild

Mittels virtueller Realität gaben die Wissenschaftler den Probanden Avatare mit einer anderen Hautfarbe als der eigenen. © Trends in Cognitive Sciences, Maister et al.

Vorurteile sind überwindbar: Wenn Weiße sich vorübergehend im Körper eines Schwarzen wiederfinden, verringert das ihre Vorurteile. Dies haben Forscher herausgefunden, indem sie mit Hilfe einer raffinierten Illusion ihre Versuchspersonen scheinbar in neue Körper steckten. Die Ergebnisse könnten einen großen Beitrag dazu leisten, wie wir mit Rassen- und Geschlechter-Diskriminierung umgehen, schreiben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Trends in Cognitive Sciences“.

Einmal in einer anderen Haut stecken und vorrübergehend jemand anders zu sein wünschen sich viele Menschen. Was aber, wenn der neue Körper zu einer Gruppe gehört, über die man selbst bestimmte Vorurteile pflegt, etwa einer anderen Rasse? Beeinflusst der neue Blickwinkel diese Vorurteile? Wenn ja, wie geschieht das, und wie hängt eine vorurteilsbelastete Haltung mit dem Bild vom eigenen Körper zusammen?

Versuchspersonen in fremden Körpern

Solche Fragen versuchen die Forschungsgruppen um Manos Tsakiris von der Royal Holloway University in London und Mel Slater von der Universität Barcelona zu beantworten. Dazu stecken sie ihre Versuchspersonen in fremde Körper – oder gaukeln zumindest dem Gehirn einen anderen Körper als den eigenen vor. Das gelingt zum einen, indem sie den Probanden in einer virtuellen Realität einen entsprechenden Avatar geben. Reagiert dieser Avatar genau synchron mit eigenen Bewegungen, so erscheint er schnell wie der eigene Körper.

In anderen Experimenten nutzten die Wissenschaftler die sogenannte „Gummihand-Illusion“: Die Probanden sahen lediglich, wie ein Wissenschaftler eine Hand aus Gummi vor ihnen auf dem Tisch mit einem Pinsel berührt. Gleichzeitig spürten sie jedoch auch einen Pinsel auf ihrer eigenen Hand, ungesehen hinter einem Sichtschutz. Das Gehirn führt diese Reize zusammen und interpretiert die künstliche Hand, auch mit anderer Hautfarbe, als die eigene. Ähnlich funktioniert die Illusion mit einem vorgetäuschten Spiegelbild und synchronisierten Berührungen im Gesicht.

Abgestimmte Reize verleihen bei der Gummihand-Illusion (A) und dem vorgetäuschten Gesichts-Wechsel (B) das Gefühl, in einem anderen Körper zu stecken. © Trends in Cognitive Sciences, Maister et al.

Weniger Vorurteile durch neue Selbst-Identifikation

Jeweils vor und nach diesen Körpertausch-Experimenten untersuchten die Wissenschaftler die Einstellung der Probanden gegenüber anderen mit einem standardisierten Test. Dabei zeigte sich: Bei weißen Menschen, die sich vorübergehend wie im Körper eines Schwarzen fühlten, nahmen eventuell vorhandene Vorurteile tatsächlich ab. Der verwendete „Implicit association task“ (IAT) ist speziell dafür entwickelt, auch innere Haltungen offen zu legen, die man bei direkter Nachfrage nicht zugeben würde: entweder, weil man sie nicht offenbaren will, oder weil man sich ihrer selbst gar nicht bewusst ist.

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Ein ähnlicher Zusammenhang zwischen Körperbild und Vorurteilen war bereits aus früheren Studien bekannt: Wer viele Vorurteile gegenüber einer anderen Rasse hat, ist dieser gegenüber weniger mitfühlend – weil er sich weniger mit dem als fremd wahrgenommenen Körper identifiziert. Die Ergebnisse von Tsakiris und Slater deuten nun daraufhin, dass dieser Einfluss auch in umgekehrter Richtung besteht: Die Identifikation mit dem zuvor Fremden führt auch dazu, vorhandene Vorurteile zu überdenken und neu zu bewerten.

Kein Heilmittel gegen Rassismus

Zukünftige Forschung könnte mit diesen Methoden untersuchen, wie das Selbstbild überhaupt entsteht, wie sich die Identifikation mit bestimmten Gruppen entwickelt und wie sich die empfundene Zugehörigkeit mit diesen Gruppen verschiebt. Die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Resultate heben die Wissenschaftler jedoch schon jetzt hervor: „Unsere Methoden könnten uns helfen, wie wir Phänomenen wie Rassismus, religiösem Hass und geschlechtsbezogener Diskriminierung begegnen können“, meint Tsakiris, „denn sie bieten Menschen die Gelegenheit, die Welt aus der Perspektive von jemand anderem wahrzunehmen.“

Dennoch betrachten die Forscher ihre Methodik bei weitem nicht als einfaches „Heilmittel“ für Rassismus oder andere Vorurteile. Slater betont aber, dass „die Studie zeigt, dass die Integration verschiedener sensorischer Signale es dem Gehirn gestattet, sein Körperbild zu aktualisieren. Dadurch bringt es Menschen dazu, ihre Haltung anderen gegenüber zu ändern.“ Vorurteile sind also nicht permanent ins Gehirn geschrieben, sondern lassen sich überwinden. (Trends in Cognitive Science, 2014; doi: 10.1016/j.tics.2014.11.001; Consciousness and Cognition, 2013doi: 10.1016/j.concog.2013.04.016; Cognition, 2013; doi: 10.1016/j.cognition.2013.04.002)

(Cell Press, 22.12.2014 – AKR)

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