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Paläontologie

Ur-Säuger verblüfft Paläontologen

Fossilfund aus der Kreidezeit stammt von bisher größtem Säugetier des Südkontinents

So könnte der Kreidezeit-Säuger Vintana sertichi ausgesehen haben © Luci Betti-Nash

Riesen-Murmeltier mit scharfen Sinnen: Auf Madagaskar haben Paläontologen den 70 Millionen Jahre alten Schädel eines urtümlichen Säugetiers entdeckt. Das Tier ist für einen Ur-Säuger ungewöhnlich groß und hatte große Augen, ein gutes Gehör und eine ausgesprochen feine Nase. Mit seiner bizarren Mischung aus Merkmalen verblüfft dieses Fossil zudem selbst die Paläontologen, wie sie im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Fossilien früher Säugetiere sind rar – und ganz besonders selten sind Relikte von Ur-Säugern, die auf dem alten Südkontinent Gondwana und den aus ihm hervorgehenden Landmassen der heutigen Südhalbkugel lebten. „Die Gondwanatheria sind die am wenigsten bekannte Gruppe der frühen Säugetiere, von ihnen sind bisher nur ein paar einzelne Zähne und Kieferfragmente gefunden worden“, erklären David Krause von der Stony Brook University in New York und seine Kollegen. Deshalb blieben ihre Lebensweise, ihr Aussehen und ihre Verwandtschaftsverhältnisse völlig im Dunkeln.

Bizarre Mischung von Merkmalen

Doch das hat sich nun geändert – dank eines Schädelfunds auf Madagaskar. Der im Inneren eines rund 70 Millionen Jahre alten Gesteinsbrockens entdeckte Säugetier-Schädel ist nach Angaben der Forscher bemerkenswert gut erhalten. Dadurch lassen sich erstmals Details des Schädeldaches, der Kiefer, Zähne und der Schnauzenform der Gondwanatheria untersuchen. „Der Schädel gibt uns eine beispiellose Gelegenheit, mehr über die Biologie dieser Säugetiergruppe zu erfahren“, so die Forscher.

Tatsächlich zeigt das Fossil eine auffallende Mischung aus typischen Säugetier-Merkmalen und überraschenden Besonderheiten. „Kein Paläontologe hätte auch nur ansatzweise diese bizarre Mischung von anatomischen Merkmalen voraussehen können, die dieser Schädel zeigt“, sagt Krause. Er und seine Kollegen ordneten diesen Vertreter der Gondwanatheria einer neuen Gattung und Art zu, die sie Vintana sertichi tauften. Vintana bedeutet auf madagassisch „Glück“ und steht für den unverhofften aber glücklichen Fund des Fossils.

Erstaunlich groß und ziemlich scharfsichtig

Der neu entdeckte Schädel ist mit 12,4 Zentimetern Länge relativ groß und stark aufgewölbt. Die Paläontologen schätzen, dass Vintana sertichi zu Lebzeiten knapp neun Kilogramm gewogen haben könnte – damit wäre es das größte bisher bekannte Ur-Säugetier Gondwanas. „In einer Zeit, in der die große Mehrheit der Säugetiere gerade einmal mäusegroß war und sie im Schatten der Dinosaurier lebten, war Vintana damit ein Superschwergewicht“, so Krause.

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Auch die Augenhöhlen dieses Säugetiers sind mit rund drei Zentimetern Durchmesser auffallend groß, wie die Forscher berichten. Zusammen mit weiteren Details der Augenhöhlen-Anatomie lassen sie darauf schließen, dass Vintana relativ große Augen besaß und daher wahrscheinlich in der Dämmerung und bei wenig Licht gut sehen konnte.

Feine Nase und Nussknacker-Zähne

Aber auch per Geruch konnte sich dieses frühe Säugetier offenbar gut orientieren: Große Nasenhöhlen und vor allem auffallende Auswölbungen im Hirnschädel deuten nach Angaben der Paläontologen darauf hin, dass Vintana gut ausgeprägte Riechkolben und damit wahrscheinlich ein sehr feines Näschen besaß.

Die kräftigen Backenzähne mit ausgeprägten Kauleisten und die kräftigen Kiefer erlauben auch Rückschlüsse auf die Ernährung dieses kreidezeitlichen Säugetiers: „Es ist wahrscheinlich, dass Vintana von einer gemischten Kost mit vielen harten, großen Pflanzenteilen wie Wurzeln, Samen oder nussähnlichen Früchten lebte“, so Krause und seine Kollegen. Aus den Merkmalen des Innenohrs geht zudem hervor, dass der Pflanzenfresser einen guten Gleichgewichtssinn besaß und so selbst bei schnellen Bewegungen seine Balance gut halten konnte. Er war daher vermutlich ziemlich wendig und beweglich, wie die Paläontologen erklären.

„Entdeckung des Jahrzehnts“

Die Forscher vermuten, dass sich die Besonderheiten dieses Ur-Säugers entwickelten, als seine Vorfahren durch die Abtrennung Madagaskars erst von Afrika und dann von der Antarktis und schließlich auch von Indien isoliert wurden. „Diese Entdeckung liefert das beste Beispiel dafür, wie Plattentektonik und Biogeografie die Evolution der Tiere beeinflussen“, kommentiert Zhe-Xi Luo von der University of Chicago, der die Veröffentlichung für „Nature“ beurteilte.

Nach Ansicht des Reviewers ist dieser Fund eine der wichtigsten Entdeckungen des Jahrzehnts. „Mit Merkmalen, die so bemerkenswert anders sind als die anderer uns bekannter Säugetiere, zeigt uns dieses Fossil, wie wenig wir bisher über die frühe Evolution der Säugetiere wissen“, so Luo. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13922)

(Nature, 06.11.2014 – NPO)

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