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Medizin

Auf venezianische Art gegen Ebola?

Vorgehen gegen die Pest im 14. Jahrhundert als Vorlage für modernes Krisenmanagement

Die Schnabelmaske des Pestdoktors ist noch heute im venezianischen Karneval verbreitet. © Flickr: Tracy / (CC BY 2.0)

Seuchenbekämpfung wie im Mittelalter: Der Umgang der Stadt Venedig mit der Pest im 14. Jahrhundert ist Experten zufolge ein „Paradebeispiel für Resilienzmanagement“. Für moderne Epidemien wie den aktuellen Ebola-Ausbruch in Westafrika könnten die damaligen systematischen Methoden ein lehrreiches Vorbild sein, so die Forscher. Auch mit anderen Bedrohungen wie Klimawandel und Bevölkerungswachstum ließe sich auf diese Weise reagieren.

Venedig war im 14. Jahrhundert das Zentrum vieler Handelsrouten in Mitteleuropa. Das brachte Wohlstand, förderte aber auch das Einschleppen und Verbreiten von Krankheiten. Im Jahr 1347 wurde die Stadt daher zum Epizentrum einer großen Pestepidemie. Dieser vermeintlichen Bedrohung durch Gott, Vampire oder Ähnlichem versuchten die Venezianer zunächst mit traditionellem „Risikomanagement“ wie Gebeten und Ritualen zu begegnen. Die wahren Hintergründe der Krankheit waren den Menschen noch unbekannt, von hilfreichen Gegenmaßnahmen ganz zu schweigen.

Systematisch und flächendeckend

Dann aber kam zum Einsatz, was wir heute als „Resilienzmanagement“ bezeichnen würden: Da sie die Zusammenhänge der Epidemie nicht verstanden, konzentrierten sich Behörden und Ärzte der Stadt darauf, die weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Dazu organisierten sie systematisch und flächendeckend das gesamte Stadtleben. Sie regulierten die Bewegungen und sozialen Interaktionen der Bürger und führten in einem Überwachungssystem akribisch Buch darüber. Außerdem führten sie Lazarette mit Quarantänestationen auf nahegelegenen Inseln, Quarantänezeiten und das Tragen von Schutzkleidung ein – ebenfalls systematisch durchorganisiert.

Igor Linkov vom US Army Engineer Research and Development Center und seine Kollegen ziehen Parallelen zum aktuellen Ebola-Ausbruch in Westafrika: Im Fall von Ebola machen wirtschaftliche und kulturelle Faktoren das Risikomanagement schwierig. Viele der betroffenen Menschen misstrauen den fremden Hilfsorganisationen und verlassen sich auf ihre Medizinmänner und den verbreiteten Aberglauben. Es dauert lange, tief verwurzelte Traditionen zu verändern, die eine Ausbreitung des Ebola-Virus eindämmen könnten.

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Vorbereiten, anpassen und erholen

Das Resilienzmanagement der Venezianer könnte Lingkov zufolge ein lehrreiches Vorbild sein. Resilienzmanagement umfasst die Fähigkeit einer Stadt oder Gemeinde oder auch eines ganzen Staatensystems, sich auf unerwartete Gefahren vorzubereiten, mit ihnen umzugehen und sich anzupassen, aber auch, sich wieder davon zu erholen. Damit könnte es Gesundheitsexperten und Politikern gelingen, die Lage in Westafrika zu entschärfen: Ein alle sozialen und wirtschaftlichen Bereiche umfassender, systematischer Ansatz soll es ermöglichen, auf ein erneutes Auftreten der Krankheit zu reagieren.

Als Soforthilfe für Venedig kamen die gegen die Pest eingeleiteten Maßnahmen allerdings zu spät: Rund die Hälfte der damals etwa 120.000 Einwohner fielen der Seuche zum Opfer. Langfristig zeigte das Resilienzmanagement der Stadt jedoch große Wirkung: Dank der geballten Bemühungen über mehrere Jahrhunderte hinweg wuchs und gedieh Venedig weiterhin. Die Pest trat zwar sporadisch immer noch auf und machte den Einwohnern der Stadt zu schaffen. Aber während ähnliche Epidemien in anderen Teilen Südeuropas jahrhundertelang wüteten, richteten sie in Venedig vergleichsweise wenig Schaden an und ließen sich schließlich kontrollieren.

„Resilienzmanagement kann helfen, mit dem aktuellen Ebola-Ausbruch in Afrika umzugehen“, glaubt Linkov. „Auch bei Problemen wie den Folgen von Bevölkerungswachstum und Klimawandel kann es nützlich sein. Die Behörden in Venedig haben es vor Jahrhunderten vorgemacht: Die Resilienz eines Systems zu stärken, ist ein Lösungsansatz für unbekannte und unberechenbare Bedrohungen, wie sie immer häufiger auftreten.“

(Environment Systems and Decisions, 2014; doi: 10.1007/s10669-014-9511-8)

(Linkov et al., Environment Systems and Decisions, 02.09.2014 – AKR)

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