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Biologie

Antarktische Mücke hat Mini- Genom

Kleinstes Erbgut aller Insekten zeugt von extremen Lebensbedingungen und Anpassungen

Die Zuckmücke Belgica antarctica ist das einzige in der Antarktis heimische Insekt © Richard E. Lee Jr

Abgehärteter Exot: Eine winzige Zuckmücke ist das einzige Insekt, das dauerhaft in der Antarktis lebt. Jetzt hat ein Forscherteam erstmals das Erbgut dieser Ausnahme-Mücke entschlüsselt – und dabei einige Überraschungen zutage gefördert. So besitzt die Antarktis-Zuckmücke das kleinste Genom aller Insekten, ihre DNA scheint wie auf das Wesentliche reduziert, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“.

Eiseskälte, monatelange Polarnacht, extreme Trockenheit und nur sehr spärlich vorhandene Nahrung sorgen dafür, dass es nur wenige Landtiere auf dem antarktischen Festland gibt. Selbst von den so anpassungsfähigen Insekten hat es nur eine einzige Art geschafft, sich dort dauerhaft zu halten: die flügellose Zuckmücke Belgica antarctica. Die flügellose, nur drei Millimeter große Mücke lebt verstreut auf der westantarktischen Halbinsel.

Besondere Anpassungen

Als Larve verbringt die Mücke zwei Jahre lang fast tiefgekühlt in und auf dem Eis und entwickelt sich dort nur im Zeitlupentempo weiter. Als Nahrung dienen ihr dabei Bakterien, Algen und der nährstoffreiche Kot von Pinguinen. Erst zu Beginn des dritten Sommers schlüpfen aus den Puppen die erwachsenen Insekten. Ihr einziger Lebenszweck ist es, sich innerhalb ihrer nur rund zehn Tage dauernden Lebenszeit zu paaren und Eier zu legen.

Um unter den extrem harten Bedingungen zu überleben, haben die Zuckmücken im Laufe der Zeit einige Anpassungen entwickelt. So produziert ihr Stoffwechsel nahezu ununterbrochen große Mengen von Frostschutzmitteln, darunter auch Proteinen, die bei anderen Organismen nur im akuten Stressfall ausgeschüttet werden. Gleichzeitig verkraftet es die Mücke problemlos, wenn sie bis zu 70 Prozent ihrer gesamten Körperflüssigkeit verliert – die meisten anderen Insekten vertragen nur einen Verlust von maximal 20 Prozent. „Ausgetrocknet sehen die Zuckmücken aus wie kleine verschrumpelte Rosinen, doch wenn wir sie mit Wasser begießen, quellen sie auf und gehen fröhlich ihrer Wege“, erklärt Seniorautor David Denlinger von der Ohio State University.

Genom: Kleiner, als für möglich gehalten

Um herausfinden, welche genetische Basis diesen Anpassungen des extremophilen Insekts zugrunde liegt, haben Denlinger, Joanna Kelley von der Washington State University in Pullman und ihre Kollegen nun erstmals das komplette Genom dieser Zuckmücke sequenziert. Wie sich dabei zeigte, enthält das Erbgut von Belgica antarctica nur 99 Millionen Basenpaare.

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Die Larven von Belgica antarctica benötigen mehr als zwei Jahre für ihre Entwicklung © Richard E. Lee Jr

Das ist kaum mehr als bei einem Bakterium und deutlich weniger als bei jedem anderen bisher sequenzierten Insekt. Selbst die hochspezialisierte und parasitisch lebende Kopflaus besitzt mehr DNA-Buchstaben, wie die Forscher berichten. „Dieses Erbgut ist erheblich stärker reduziert als man es bisher überhaupt für möglich gehalten hätte“, sagt Denlinger.

„Junk“-DNA wegrationalisiert

Interessanterweise ist die Anzahl der proteinkodierenden Gene bei der antarktischen Zuckmücke aber nicht verringert. Mit rund 13.500 Genen liegt sie sogar im Insekten-Durchschnitt. Verloren hat die Mücke dafür viele Anteile der sogenannten Junk-DNA: Genkopien, wiederholte Sequenzen, bewegliche Genabschnitte, aber auch Introns – nicht kodierende DNA-Abschnitte innerhalb eines Gens. „Das Genom ist damit wirklich bis auf sein Skelett reduziert“, sagt Denlinger. „Noch wissen wir aber nicht, welche Konsequenzen der Verlust all dieses ‚Ballasts‘ für die Mücke hat.“

Denn inzwischen weiß man, dass auch die nicht kodierenden Abschnitte des Erbguts wichtige Funktionen im Zellstoffwechsel und bei der Steuerung der Genaktivität besitzen. Die Forscher vermuten jedoch, dass das verkleinerte Genom der Zuckmücke Vorteile beim Überleben in der extremen Umgebung verschaffen muss. Immerhin müssen DNA-Teile, die nicht mehr vorhanden sind, auch nicht bei jeder Zellteilung unter hohem Energieaufwand nachproduziert werden.

Lange Isolation, geringe Mobilität

Einige Anteile der DNA, darunter die innerhalb des Genoms beweglichen Transposons, könnten aber auch wegen der langen Isolation der antarktischen Zuckmücken reduziert worden sein: Die Antarktis ist seit rund 33 Millionen Jahren durch das Südpolarmeer von anderen Landmassen abgeschnitten. Es gibt daher seitdem keinen Austausch mit Zuckmücken auf anderen Kontinenten. Gleichzeitig sind die flügellosen Mücken nur bedingt mobil. Auch in der Antarktis mischen sich die verschiedenen lokalen Populationen daher kaum miteinander – auch das könnte nach Ansicht der Forscher die geringe genetische Vielfalt und die reduzierten Transposons erklären.

„Es wird interessant sein herauszufinden, ob andere Extremophile – beispielsweise Zecken, Milben und andere Antarktisbewohner – ebenfalls so kleine Genome besitzen oder ob dies einzigartig für diese Zuckmücke ist“, sagt Denlinger. Die Forscher hoffen, dass nähere Analysen des Genoms der Mücke weiteren Aufschluss darüber geben, wie die Gene und deren Aktivität dem Tier helfen, unter den harten Bedingungen zu überleben. „Das ist für uns eine einzigartige Gelegenheit, die Genom-Architektur eines extremophilen Lebewesens zu erkunden“, so die Forscher. (Nature Communications, 2014; doi: 10.1038/ncomms5611)

(Nature Communications / Ohio State University, 13.08.2014 – NPO)

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