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Medizin

Klingelton gegen Schmerzen?

Pavlow'sche Konditionierung senkt Schmerzempfindung im Gehirn

Kopfschmerz - unangenehm und verbreitet. Konditionierung auf einen Klingelton könnte helfen. © freeimages

Weniger Schmerzen, wenn das Telefon klingelt? Klingt absurd, funktioniert aber tatsächlich: In einem raffinierten Experiment haben Forscher das Nervensystem ihrer Probanden so trainiert, dass es bei einem Klingelton das Schmerzempfinden drosselte. Solche Lernprozesse könnten auch bei Schmerztherapien nützen, berichten die Forscher im Online-Fachjournal „PLOS ONE“.

Dieses scheinbar paradoxe Phänomen kennen vermutlich viele: Kneift man sich einmal kurz in den Arm, vermindert dies den Schmerz in einem gestoßenen Zeh und hilft manchen sogar vorrübergehend gegen Zahnschmerzen. Ein anhaltender Schmerz in einem Körperteil wird weniger stark wahrgenommen, wenn in einem anderen Körperteil eine neue Schmerzquelle auftritt. Dies ist mehr als nur bloße Ablenkung: Das Nervensystem blockiert mit dieser physiologischen Reaktion den einen Schmerz, damit der Körper sich auf eine neue, womöglich wichtigere Gefahrenquelle konzentrieren kann.

Schmerz blockiert Schmerz

Dieses „Schmerz blockiert Schmerz“-Phänomen haben Wissenschaftler um Fernand Anton von der Universität Luxemburg nun näher untersucht – und dabei einen Weg gefunden, um das Schmerzempfinden gewissermaßen auszutricksen. Die Versuchspersonen erhielten zuerst leichte, aber schmerzhafte Stromschläge am Fuß, woraufhin die Wissenschaftler die Intensität des Schmerzes aufzeichneten. Anschließend sollten die Probanden ihre Hand in einen Eimer mit Eiswasser tauchen – ebenfalls ein schmerzhafter Reiz. Dieser zweite Schmerzreiz reduzierte wie erwartet den ersten.

Die Besonderheit des Experiments: Während des zweiten Reizes hörte ein Teil der Versuchspersonen gleichzeitig das Klingeln eines Telefons. Nach mehreren Wiederholungen dieses Ablaufs reichte bereits der Klingelton allein, um den Schmerz der Elektropulse im Fuß zu senken, wie die Forscher berichten. Die Testpersonen fühlten im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur subjektiv weniger Schmerz – auch die objektiven, körperlichen Anzeichen von Schmerzen fielen geringer aus. So verzogen die Probanden zum Beispiel weniger vor Schmerz das Gesicht und zuckten weniger zusammen.

Konditionierung in beiden Richtungen?

Diese Konditionierung entspricht dem berühmten Experiment der „Pavlow’schen Hunde“: Diese hörten jedesmal eine Glocke, wenn sie Futter vorgesetzt bekamen. Schließlich reichte der Klang der Glocke allein, um bei den Hunden verstärkten Speichelfluss auszulösen. In den Schmerz-Experimenten ließ sich das menschliche Gehirn genauso konditionieren: „Wir haben gezeigt, dass ein ebensolcher Effekt wie bei der physiologischen Reaktion des Speichelflusses bei den pawlowschen Hunden auch hinsichtlich der Möglichkeit besteht, Schmerz bei Menschen auszublenden“, so Anton.

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Der Konditionierungseffekt wirkt aber nicht nur in eine Richtung: „Umgekehrt spielen womöglich ähnliche Lerneffekte bei der Steigerung und Aufrechterhaltung von Schmerzen bei manchen Patienten eine Rolle“, erläutert Erstautorin Raymonde Scheuren. Dies wäre von Bedeutung, wenn Menschen regelmäßig wiederkehrende Schmerzen mit bestimmten Signalen in Verbindung bringen. Die Kenntnis beider Effekte, Linderung und Steigerung von Schmerzen durch Konditionierung, könnte bei Therapien zur Schmerzbewältigung einen Beitrag leisten. Allerdings ist noch unerforscht, wie lange diese Konditionierung anhält – darauf wollen sich die Forscher als nächstes konzentrieren.

(PLOS ONE, 2014; doi: 10.1371/journal.pone.0088710)

(Université du Luxembourg, 11.07.2014 – AKR)

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