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Psychologie

Hurrikans mit Frauennamen sind tödlicher

Subtile Rollenklischees lassen Menschen die Gefahr durch weiblich benannte Stürme unterschätzen

Hurrikan Katrina, einer der katastrophalsten Hurrikans in der Geschichte der USA © NASA/GSFC

Tödliches Klischee: Wenn ein Wirbelsturm einen Frauennamen trägt, neigen Menschen dazu, seine Intensität zu unterschätzen. Das zeigt ein Experiment von US-Forschern. Dieses Vorurteil aber hat tödliche Folgen: Denn viele Bewohner gefährdeter Gebiete bringen sich bei einem weiblich benannten Hurrikan nicht rechtzeitig in Sicherheit. Stürm mit Frauennamen fordern deshalb mehr Todesopfer als solche mit Männernahmen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Sie heißen Katrina, Sandy, Ike oder Dennis: Seit Ende der 1970er Jahre bekommen Hurrikans abwechselnd Frauen-und Männernamen. Dies sollte dazu beitragen, Warnmeldungen verständlicher und einprägsamer zu machen und auch die Berichterstattung in den Medien erleichtern. Die Meteorologen arbeiten für die Benennung eine für jedes Jahr vorbereitete Namensliste ab. Ob ein Sturm einen männlichen oder weiblichen Namen bekommt ist reiner Zufall und sagt nichts über seine Stärke oder Gefährlichkeit aus – eigentlich.

Mehr Todesopfer bei Frauennamen

Doch die Studie von Kiju Jung von der University of Illinois in Champaign und seine Kollegen zeigt etwas Anderes: Die Forscher hatten für knapp 94 atlantische Hurrikans zwischen 1950 und 2012 ausgewertet, wie viele Schäden und Todesopfer sie verursachten. Gleichzeitig ließen sie neun Probanden die für die Stürme vergebenen Namen darauf hin bewerten, wie feminin oder maskulin sie diese empfanden – ohne dass sie den Zusammenhang zu den Stürmen kannten.

Das Ergebnis: Bei schwachen Stürmen gab es keine auffallenden Effekte, wohl aber bei starken Hurrikans: „Hurrikans mit weiblichen Namen waren tödlicher als die mit maskulineren Namen“, berichten die Forscher. Trug der Sturm einen Frauennamen, forderte er durchschnittlich 42 Todesopfer, bei einem Männernamen waren es nur rund 15 – trotz gleicher Intensität der Stürme. Würde man ein und denselben Sturm von „Charly“ in „Eloise“ umbenennen, wären demnach dreimal höhere Opferzahlen die Folge.

Psychologischer Effekt führt zur Fehleinschätzung

Aber woran lag dies? Jung und seine Kollegen vermuteten einen psychologischen Effekt: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen ihre Einschätzung der Gefahr durch einen Sturm und ihre Schutzmaßnahmen nicht nur nach objektiven Indikatoren für die Stärke des Hurrikans richten, sondern sich auch vom Geschlecht des Namens leiten lassen“, erklären die Forscher. Deshalb sind sie bei weiblichen Hurrikans weniger vorsichtig und zögern offenbar eher damit, beispielsweise einem Evakuierungsaufruf zu folgen.

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Hurrican Ike - männlicher Name, ähnlich verheerend. © NASA/MODIS

Um diese Hypothese zu testen , führten die Forscher mit 346 Männern und Frauen mehrere psychologische Tests durch: In einem davon nannten sie den Versuchspersonen jeweils fünf männliche und fünf weibliche Namen, die sie zufällig aus der Liste für die Hurrikan-Saison 2014 herausgepickt hatten: Dolly, Bertha, Laura, Hanna und Fay sowie Arthur, Cristobal, Omar, Kyle und Marco. Alle Teilnehmer sollten dann allein anhand der Namen spontan tippen, wie stark der Wirbelsturm mit diesem Namen jeweils werden würde.

Das Ergebnis war eindeutig: Sowohl die Männer als auch die Frauen schätzten Wirbelstürme mit Frauennamen deutlich schwächer ein als diejenigen mit Männernamen. Je femininer dabei der weibliche Name, desto geringer die vorausgesagte Intensität. Von „Dolly“ erwarteten die Probanden durchschnittlich das geringste Gefahrenpotenzial.

Die Stereotypen wirken unbewusst

Ähnliches ergab auch ein weiteres Experiment, in dem die Probanden jeweils eine Wetterkarte mit einem darauf abgebildeten Hurrican erhielten – einmal war er als „Christopher“ und einmal als „Christina“ bezeichnet. Dann wurden sie gefragt, ob sie sich angesichts der drohenden Gefahr evakuieren lassen würden oder eher zuhause bleiben. Auch hier gab es signifikante Unterschiede: Bei Christopher entschieden sich deutlich mehr Probanden zu einer Evakuierung, Christina wurden von ihnen harmloser eingeschätzt.

„Wenn es darum geht, die Intensität von Stürmen zu beurteilen, scheinen Menschen davon beeinflusst zu werden, wie Frauen und Männer sich ihrer Ansicht nach verhalten“, sagt Co-Autorin Sharon Shavitt von der University of Illinois. Die Stereotypen, die diesen Bewertungen zugrunde liegen, sind dabei sehr subtil: Der Einfluss des Rollenklischees schlich auch dann ein, wenn die Personen selbst der festen Überzeugung waren, Männer und Frauen seien grundsätzlich gleich.

Nach Ansicht der Forscher sollte die Praxis der Namensvergabe angesichts dieser Ergebnisse neu überdacht werden. Denn im Zuge des Klimawandels werden starke Hurrikans zunehmen – und mit ihnen die Gefahr, dass diese allein aufgrund ihres Namens unterschätzt werden. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1402786111)

(PNAS, 03.06.2014 – NPO)

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