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Geowissen

Was schuf die riesigen Mars-Canyons?

Lava statt Wasser könnte die Schluchten des Roten Planeten gegraben haben

Die Canyons des Valles Marineris - wie sind sie entstanden? © ESA/ FU Berlin, Neukum

Bisher galten tektonische Prozesse oder gewaltige Wasserfluten als Urheber der Riesenschluchten auf dem Mars. Doch ein Schweizer Geoforscher sieht dies ganz anders: Er liefert nun Indizien dafür, das Lavaströme der großen Vulkane zunächst Lavatunnel, dann diese Canyons schufen. Wasser dagegen war auf dem roten Planeten viel zu selten, um diese gigantischen Täler in die Landschaft zu graben.

War der Mars einst wasserreich, und durch rasende Sturzfluten, große Seen und Meere geprägt? Gerade in der letzten Zeit gibt es zu dieser Frage sehr widersprüchliche Ansichten und Studienergebnisse. Einerseits hat das Marsfahrzeug Curiosity Relikte eines großen Süßwassersees auf dem Roten Planeten entdeckt. Und auch im Marsgestein gebundenes Wasser soll von dem einstigen Wasserreichtum zeugen.

Andererseits belegten erst vor wenigen Wochen Analysen von Marskratern, dass die Marsatmosphäre auch in seiner Frühzeit größtenteils zu dünn war, um längere Zeit flüssiges Wasser zuzulassen.

Tektonik, Wasser oder Vulkane?

Ähnlich unterschiedlich sind die Hypothesen dazu, was die großen Canyons und Schluchten des Mars einst entstehen ließ. Weil diese Schluchten aus dem Orbit betrachtet irdischen Canyons gleichen, die von Wasser geschaffen wurden, gingen viele Forscher bisher davon aus, dass gewaltige Sturzfluten oder Flüsse einst diese Schluchten zumindest mitprägten. Die gewaltigen Schluchten wie Valles Marineris wurden zudem wahrscheinlich durch tektonische Prozesse aufgerissen.

Giovanni Leone von der ETH Zürich, ein Spezialist für Vulkanismus auf Planeten, hat nun dazu eine ganz andere Theorie: Seiner Ansicht nach hätten allein Lavaflüsse die Kraft und die Masse gehabt, diese gewaltigen Schluchten in die Marsoberfläche einzugraben. Leone hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit den Strukturen dieser Canyons und ihrer Ausflüsse in das Ares Valles und die Chryse planitia, eine riesige Tiefebene in der Nordhemisphäre des Mars, befasst. Für seine Studie analysierte er tausende von hochauflösenden Oberflächenaufnahmen, die von mehreren Marssonden gemacht wurden.

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Eine Kette runder Löcher deutet auf ein teilweise kollabiertes Dach eines Lavatunnels. © Mars Image Explorer / asu.edu

Ähnlichkeit mit Lavatunneln auf der Erde

Das Ergebnis: „Alles, was ich darauf erkannte, waren Strukturen von Lava, wie wir sie von der Erde her kennen“, betont Leone. Die typischen Anzeichen von durch Wasser verursachten Erosion habe er dagegen auf keinem der Bilder gesehen. Stattdessen zeigten die Aufnahmen der Schluchten große Ähnlichkeit mit Lavakanälen, wie sie an irdischen Vulkanen beispielweise auf Hawaii entstehen.

Nach Ansicht von Leone entstanden die Canyons daher folgendermaßen: Von den riesigen Vulkanen der Tharsis-Region strömte Lava in Tunneln im Untergrund bis zum Anfang des Schluchtengebiets von Labyrinthus Noctis. Wenn der Druck einer Eruption nachließ, stürzten die Tunneldecken teilweise ein. So bildeten sich Ketten von beinahe kreisrunden Löchern, den „pit chains“, deren Relikte Leone in den Aufnahmen ausgemacht hat.

Vom V-Graben zur Schlucht

Floss dann später erneut Lava durch die Tunnels, riss sie die Decken ganz ein – tiefe V-förmige Gräben entstanden. Durch das Aufschmelzen von Grund- und Randmaterial, aber auch durch rein mechanische Erosion hobelten die Lavamassen ein immer tieferes und breiteres Bett aus, es bildeten sich Canyons, deren instabil gewordenen Ränder abrutschen. Nachfolgende Lava trug den Schutt der Erdrutsche davon oder überdeckte ihn. „Je mehr Lava floss, desto breiter wurde der Canyon“, so Leone.

Wären tektonische Einflüsse entscheidend gewesen, dürften die oberen Ränder der Canyons nicht auf demselben Niveau liegen, so der Forscher. Außerdem: „Auf dem Mars gibt es weder wandernde Platten noch Subduktionszonen.“ Gegen Wasser als formende Kraft spricht seiner Ansicht nach die Tatsache, dass es Millionen von Kubikkilometern davon gebraucht hätte, um so tiefe Gräben und Canyons zu schaffen. Dazu hätte beinahe das gesamte atmosphärische Wasser der Marsgeschichte in Labyrinthus Noctis konzentriert sein müssen.

Ein "Skylight" - eine Öffnung in einem Lavatunnel auf Hawaii. © USGS

Wasser nur in kleinen Mengen

Wasser als endgültige bildende Kraft schließt Leone allerdings nicht gänzlich aus. Spuren davon – etwa Salzablagerungen an Orten, wo Wasser aus dem Boden verdunstete, oder Erosionsspuren auf den Schuttfächern der Erdrutsche – habe er allerdings nur sehr selten gefunden. „So muss man sich ernsthaft fragen, wieso Wasser das Valles Marineris hätte bilden sollen, wenn keine massiven und weit verbreiteten Spuren davon zu erkennen sind.“

Auch kann sich der Vulkanologe nicht erklären, woher die gigantischen Wassermassen hätten herkommen sollen, die diese Canyons formen konnten. Denn auch seiner Ansicht war die Atmosphäre auf dem Mars zu dünn, die Temperaturen zu kalt. Wasser, das an die Oberfläche käme, würde nicht flüssig bleiben, gibt er zu bedenken: „Wie soll sich unter solchen Bedingungen ein Fluss von genügender Größe und Stärke bilden können?“

Marsmikroben im Tunnel?

Stimmt das Szenario von Leone, dann spricht dies ebenfalls dafür, dass der Mars früher weniger wasserreich und lebensfreundlich war als bisher angenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf dem Mars Leben gegeben habe oder gibt, würde dadurch ebenfalls viel kleiner. Leone kann sich als Aufenthaltsort für potenzielle Marsmikroben aber die noch existierenden Lavatunnels vorstellen. Diese böten Schutz vor der starken UV-Strahlung auf dem Mars.

Er schlägt deshalb vor, eine Marsmission durchzuführen mit dem Ziel, Lavatunnels zu erkunden. Er hält es für machbar, einen Rover durch ein Loch im Dach eines Tunnels einzusetzen und dort nach Spuren von Leben zu suchen. „Dafür geeignete Stellen könnte man aufgrund meiner Daten ermitteln“, so Leone.

Leone stellt sich mit seiner Ansicht gegen den herrschenden Mainstream in der Marsforschung. Vielleicht liege er ja auch falsch, aber die Wissenschaft könne nur vorwärts kommen, wenn auch andere Denkmodelle betrachtet werden. „Ich erwarte nun eine heftige Debatte. Aber meine Evidenz ist stark“, so der Forscher. (Journal of Volcanology and Geothermal Research, 2014; doi 10.1016/j.jvolgeores.2014.01.011)

(Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), 13.05.2014 – NPO)

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