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Biologie

Unerklärliche Vielfalt des Alterns

Drastische Unterschiede im Lebensverlauf verschiedener Arten sprengen die Theorie

Drei von insgesamt 46 Arten aus dem Katalog der Max-Planck-Forscher. Darin vergleichen sie Sterblichkeit (rot), Fruchtbarkeit (blau) und Überlebensrate (grau). © Owen Jones (MaxO), Alexander Scheuerlein (MPIDR) et. al/ Nature 2013

Wir alle werden älter – diese Tatsache gilt als unumstößlich und unveränderlich. Allerdings bedeutet Altern offenbar nicht für alle Organismen dasselbe: Einige werden im Lauf ihres Lebens gebrechlicher, andere erfreuen sich bis ins hohe Alter unveränderter Fruchtbarkeit – und wieder andere scheinen gar nicht zu altern. Aus diesem in „Nature“ veröffentlichten Ergebnis einer Vergleichsstudie geht vor allem eins hervor: Das Phänomen des Alterns ist nach wie vor weitgehend unerklärlich – und lässt sich nicht in gängige Theorien pressen.

Bisherige Versuche, die Alterung evolutionär zu begründen, gehen davon aus, dass ein Lebewesen nur so lange in den Erhalt seines Körpers investiert, bis es sich erfolgreich vermehrt und seine Nachkommen großgezogen hat. Je näher das Ende der Fortpflanzungsphase rückt, desto mehr müsste der Körper demnach verfallen – er altert.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock und des Max-Planck Odense Centers on the Biodemography of Aging (MaxO) in Dänemark haben dieses Modell näher untersucht. In jahrelanger Arbeit sammelten sie dafür Daten über die Sterblichkeit und Geburtenrate von 46 verschiedenen Tier und Pflanzenarten. Mit Hilfe dieser Daten verglichen sie, wie sich diese beiden Merkmale im Laufe des Lebens bei den verschiedene Arten verändert.

Mensch als Außenseiter

Das Ergebnis: Für den Menschen trifft das gängige Evolutionsmodell des Alterns offenbar nur bedingt zu: Seine Sterbewahrscheinlichkeit nimmt zwar tatsächlich im Laufe des Lebens zu. Aber dies geschieht sehr sprunghaft: Auch nach Ende ihrer fruchtbaren Lebensphase bleiben Menschen heute oft bis ins Großelternalter fit und ihre Sterbewahrscheinlichkeit entsprechend klein. Erst in höherem Alter wächst die Sterblichkeit rapide an und erreicht mit etwa 100 Jahren sogar das über 20-Fache des Lebensdurchschnitts.

Damit ist der Mensch aber ein absoluter Außenseiter. Für keine andere Spezies im Katalog der Forscher steigt die Sterbewahrscheinlichkeit so radikal an. Selbst unter Säugetieren erreicht sie höchstens das Fünffache des Lebensdurchschnittes. Wieso die Evolution solch große Unterschiede hervorgebracht hat, ist Biologen bisher ein Rätsel. „Unsere Studie führt uns vor Augen, dass Altern eins der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie ist“, sagt Owen Jones von MaxO. „Die von uns nachgewiesene Vielfalt der Alterungsmuster war unerwartet angesichts der Voraussagen klassischer Theorien zur Evolution des Alterns“, ergänzt Alexander Scheuerlein vom MPIDR.

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Der Süßwasserpolyp Hydra magnipapillata zeigt unter Laborbedingungen eine niedrige und konstante Sterblichkeit. Unter solchen kontrollierten Bedingungen ist die Sterblichkeit dieses Süßwassertieres so gering, dass Berechnungen zufolge etwa 5% der ausgewachsenen Tiere noch nach 1.400 Jahren am Leben sind. © Ralf Schaible

Für etliche Arten steht die Alterung Kopf

Vollends kapitulieren die aktuellen Denkmodelle angesichts zweier Gruppen von Spezies, für die die Alterung buchstäblich Kopf steht: Zum einen gibt es Arten, deren Sterblichkeit sich über das gesamte Leben nicht verändert, wie den Süßwasserpolypen Hydra oder den Einsiedlerkrebs. Ihr Körper scheint nicht zu degenerieren, während die Lebenszeit verstreicht. Andere Arten erleben mit zunehmendem Alter sogar, dass die Wahrscheinlichkeit zu sterben immer kleiner wird: etwa die Farbwechselnde Gorgonie (eine Koralle), die Eiche mit dem lateinischen Namen Quercus Rugosa oder die Kalifornische Gopherschildkröte. Auch sie sind irgendwann tot, denn ihr Sterberisiko wird niemals Null. Aber wenn sie alt sind, ist es für sie wahrscheinlicher, den nächsten Geburtstag zu erleben, als in der Jugend.

Mit noch einer Vorstellung räumt die neue Datensammlung auf: Dass Spezies, die besonders kurz leben, am stärksten altersbedingt abbauen. Manchmal ist eher das Gegenteil wahr: So verläuft die Sterblichkeit der Nordischen Wühlmaus ziemlich stabil – sie steigt zum Lebensende lediglich auf knapp das Doppelte des Lebensdurchschnitts. Trotzdem wird diese Wühlmaus fast nie älter als ein Jahr. Menschen hingegen erleben inzwischen immer häufiger ein ganzes Jahrhundert, obwohl ihr Sterberisiko mit dem Alter geradezu in den Himmel schießt: Im hohen Alter steigt das Risiko bis auf über das 20-Fache des Lebensdurchschnittes.

Daten weisen Weg zu einheitlicher Theorie des Alterns

„Erstaunlicherweise scheint es in der Natur kaum einen Typ von Lebensverlauf zu geben, den man nicht finden kann“, sagt MaxO-Forscher Owen Jones. Das gelte nicht nur für die Sterblichkeit, sondern auch für die Fruchtbarkeit. Während menschliche Frauen nur in einer recht kurzen Phase in der ersten Lebenshälfte Kinder bekommen und dann unfruchtbar werden, nimmt die Fertilität etwa für den Alpensegler bis kurz vor dem Lebensende kräftig zu. Und der Steppenpavian bekommt sein Leben lang Junge, ohne dass sein Alter daran viel ändern würde.

„Uns fehlt auch deswegen immer noch eine einheitliche Theorie des Alterns, weil uns die bisher sehr spezielle Auswahl biologischer Daten den Blick versperrt hat“, sagt Biodemograf Alexander Scheuerlein vom MPIDR. So gäbe es schon lange hochwertige demografische Angaben für Hunderte von Säugetieren und Vögeln, kaum aber für andere Wirbeltiere oder wirbellose Arten. Extrem wenig wisse man über Algen, Pilze und Bakterien. Um zu verstehen, warum die Evolution das Altern geschaffen hat, müssten endlich umfangreichere Daten über alle Arten gesammelt werden.

(Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12789)

Grafische Darstellungen aus dem Datenkatalog der Studie (PDF, 2.3MB)

(Max-Planck Gesellschaft, 09.12.2013 – AKR)

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