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Evolution

Schädelfund wirft Menschen-Stammbaum durcheinander

Möglicherweise gehörten alle frühen Homo-Vertreter zu nur einer Art

So könnte der Dmanissi-Mann ausgesehen haben. © J.H. Matternes

Eine echte Sensation: In Georgien haben Forscher den bisher vollständigsten Schädel eines erwachsenen Frühmenschen entdeckt. Der 1,8 Millionen Jahre alte Fund zeichnet nun ein ganz neues Bild unserer Vorfahren. Denn das Gehirn dieses Vertreters der Gattung Homo ist kleiner als gedacht. Außerdem spricht die große Variationsbreite der Fundstücke an diesem Ort dafür, dass die frühen Menschen damals vielleicht doch alle nur zu einer einzigen Art gehörten, so das internationale Forscherteam im Fachmagazin „Science“.

Homo erectus, Homo habilis, Homo rudolfensis – bisher tummeln sich in unserer Ahnengalerie gleich mehrere Frühmenschenarten, die nahezu zur gleichen Zeit existierten. Die bisher von ihnen gefundenen Fossilien galten aber dennoch als zu verschieden, um zu einer einzigen Art zu gehören. Folglich sah man in ihnen verschiedene Zweige des Menschenstammbaums. Ein neuer Fund könnte diese etablierte Vorstellung nun widerlegen.

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Älteste Vertreter der Gattung Homo außerhalb Afrikas

Entdeckt wurde das Sensationsfossil bei Grabungen auf dem Dmanissi-Plateau im Süden Georgiens. Hier wurden schon in den 1990er Jahren die Überreste von mindestens vier zwischen 1,7 und 1,85 Millionen Jahre alten Frühmenschen entdeckt. In ihren Merkmalen ähnelten die Schädel- und Skelettfragmente stark den aus der gleichen Zeit stammenden, in Afrika gefundenen Fossilien des Homo habilis und Homo erectus.

Forscher ordneten daher die Funde von Dmanissi eindeutig der Gattung Homo – Mensch – zu. Sie gelten damit als die ältesten Funde von echten Frühmenschen außerhalb Afrikas. Allerdings: Um welche Frühmenschenart es sich dabei handelte, blieb strittig – unter anderem, weil immer nur unvollständige Schädel und Skelette dieser Menschen gefunden wurden. Aus den Überresten ging aber bereits hervor, dass es sich um Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts handelte.

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Blick ins Gesicht des Urzeit-Mannes

Jetzt hat ein Forscherteam um David Lordkipanidze vom Georgischen Nationalmuseum in Tiflis einen echten Sensationsfund gemacht: Sie stießen bei ihren Grabungen auf den vollständig erhaltenen, 1,8 Millionen Jahre alten Schädel eines erwachsenen Frühmenschen. „Das ist das erste Exemplar, dass belegt, wie das Gesicht eines erwachsenen Homo aussah und wie es im Verhältnis zum Hirnschädel ausgerichtet war“, erklären die Forscher.

Und prompt lieferten die Merkmale des „Skull 5“ getauften Schädels gleich einige Überraschungen: Das Gehirn dieses Frühmenschen war demnach ungewöhnlich klein: Mit einem Volumen von nur 546 Kubikzentimeter ist es kaum größer als das des Vormenschen Australopithecus und deutlich kleiner als das vieler Homo erectus -Vertreter. Das aber widerlegt die bisherige Annahme, dass die ersten Menschen erst dann aus Afrika auswanderten, als ihr Gehirn bereits deutlich größer geworden war.

Kleines Gehirn, großes Gesicht

Trotz seines kleinen Gehirns besaß der Mann von Dmanissi aber ein sehr großes Gesicht mit kräftigen, vorstehenden Kiefern und ausgeprägten Augenwüsten. „Hätte man den Hirnschädel und das Gesicht von Skull 5 an zwei unterschiedlichen Orten in Afrika gefunden, hätte man sie vermutlich verschiedenen Arten zugeschrieben“, sagt Koautor Christoph Zollikofer vom Anthropologischen Institut und Museum in Zürich.

Diese Kombination von Merkmalen habe man bisher noch an keinem frühen Fossil eines Homo gesehen. Denn trotz seines eher primitiv kleinen Gehirns besaß der Mann von Dmanissi bereits einen relativ fortschrittlichen Körperbau: Er war vermutlich 1,46 bis 1,66 Meter groß und rund 50 Kilogramm schwer. Damit bewegt er sich am unteren Rand der Variationsbreite der heutigen Menschen.

Große Variation: Schädel der fünf in Dmanissi gefundenen Frühmenschen © M. Ponce de León, Ch. Zollikofer/ Universität Zürich

Erstaunlich große individuelle Unterschiede

Spannend macht den Schädel von Dmanissi aber noch eine andere Tatsache: Zusammen mit den früheren Funden zeigen die Fossilien an diesem Ort eine erstaunliche Variationsbreite. Sie bieten den Anthropologen eine einzigartige Gelegenheit, die individuellen Unterschiede zwischen den Menschen der damaligen Zeit zu untersuchen. Die Spanne reicht dabei von Frauen und Jugendlichen mit eher kleinem Gesicht und geringem Vorbiss bis zum neuen Schädel eines erwachsenen Mannes mit sehr ausgeprägten großen Gesichtszügen.

„Die Dmanissi-Funde sehen so verschieden aus, man könnte sie sogar als verschiedene Arten beschreiben“, sagt Zollikofer. Genau das war bei den an verschiedenen Orten in Afrika gefundenen Homo-Fossilien bisher durchaus üblich. Auf diese Weise kam die teilweise umstrittene Zuordnung der verschiedenen Funde zu den Arten Homo erectus, Homo habilis, Homo rudolfensis und Homo ergaster zustande.

Alle frühen Homo-Vertreter nur eine Art?

Lordkipanidze und seine Kollegen argumentieren nun aber gegen diese Aufspaltung. Denn es sei sehr wahrscheinlich, dass die Funde von Dmanissi alle zu einer Art gehören – was naheliegt, da sie offensichtlich zur gleichen Zeit gemeinsam dort lebten. Durch statistische Vergleiche ermittelten die Wissenschaftler zudem, dass die Dmanissi-Funde einander so ähnlich oder unähnlich sind, wie fünf beliebige heutige Menschen oder fünf Menschenaffen der gleichen Art.

Das aber bedeutet, dass auch die gesamte Aufspaltung des menschlichen Stammbaums in verschiedene frühe Homo-Arten falsch sein könnte. Denn auch die afrikanischen Vertreter der Gattung Homo sind einander nicht unähnlicher, auch sie könnten daher trotz ihrer Vielfalt durchaus zu einer einzigen Art gehört haben. „Die morphologischen Unterschiede der um 1,8 Millionen Jahre alten afrikanischen Fossilien reflektieren dann eine einzige, sich entwickelnde Linie des Homo erectus“, konstatieren die Forscher.

Dieser besaß die Fähigkeit, sich an die verschiedensten Lebensräume anzupassen – und letztlich auch, Afrika zu verlassen um neue Gebiete zu besiedeln. Noch ist dieses Szenario allerdings nur eine Hypothese. Ob sie sich erhärten lässt, müssen künftige Untersuchungen zeigen. Dann jedoch müsste am menschlichen Stammbaum einiges umgeschrieben werden. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1238484)

(Science, 18.10.2013 – NPO)

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