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Biologie

Auch Affen machen einen Reiseplan

Orang-Utans teilen schon abends ihren Artgenossen die Reiseroute für den nächsten Tag mit

Orang-Männchen stößt einen Long Call aus - die Richtung verrät, wohin morgen die Reise geht. © Carel van Schaik

Lange galt der Mensch als einziges Tier, das bewusst für die Zukunft plant. Jetzt zeigt sich: Orang-Utans in freier Wildbahn haben planerische Fähigkeiten – und setzen sie auch ein: Die Männchen kündigen die Wanderroute für den kommenden Tag teils schon vor dem Schlafengehen durch einen lauten Schrei in Reiserichtung an. So können Weibchen ihnen leichter folgen und Rivalen sich rechtzeitig aus dem Staub machen. Dieses Verhalten bestätige die Fähigkeit dieser Menschenaffen, für die Zukunft zu planen, konstatieren Schweizer Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“.

Im Gegensatz zum Instinkt erfordert bewusste Planung viel Hirnschmalz: Erstens muss der Planer in der Lage sein, seine unmittelbaren Bedürfnisse zugunsten des langfristigen Zieles zurückzustellen. Zweitens benötigt er die Fähigkeit, mentale Zeitreisen zu vollführen. Drittens braucht er ein episodisches Gedächtnis, das einzelne Ereignisse und Erlebnisse abspeichert. Nur der Mensch, so dachte man früher, erfülle all diese Voraussetzungen.

Doch inzwischen ist klar, dass Schimpansen, Orang-Utans, Bonobos, ja sogar die mit den Raben verwandten Buschhäher in Gefangenschaft planerisches Talent an den Tag legen. Ein Schimpanse im Zoo etwa sammelte früh morgens bereits Steine und Betonbrocken, um später die eintrudelnden Besucher damit zu bewerfen. Eine zentrale Frage blieb jedoch ungeklärt: Sind die Leistungen der Tiere lediglich ein Nebeneffekt ihrer kognitiven Entwicklung? Oder profitierten sie in freier Wildbahn von ihrem vorausschauenden Denken?

Rufe der Männchen als Ankündigung?

Forscher der Universität Zürich legen nun erstmals Belege dafür vor, dass zumindest das Planungstalent der Orang-Utans in freier Wildbahn zum Einsatz kommt. Das Team um Carel van Schaik wertete Daten zu den täglichen Reiserouten der Menschenaffen aus, die zwischen 1994 und 1999 im Nationalpark Gunung Leuser in Sumatra gesammelt wurden. Orang-Utans sind – außer zur Paarungszeit – Einzelgänger; die Weibchen halten sich jedoch gern in Rufweite des Alphamännchens auf, um nicht von aufdringlichen Rivalen belästigt zu werden. Die beobachteten Affen legten im Schnitt einen Kilometer pro Tag zurück.

Die Forscher interessierten sich vor allem für die sogenannten Long Calls der ausgewachsenen Männchen. Das sind laute Rufe, die bis zu einen Kilometer weit zu hören sind – zumindest in der Richtung, in die sie abgegeben wurden. Die Hypothese der Wissenschaftler: Die Männchen entscheiden sich im Voraus für die Reiseroute, die sie tagsüber einschlagen werden, und teilen ihren Artgenossen durch einen Ruf die anvisierte Richtung mit. Um ihre Vermutung zu überprüfen, verglichen die Forscher mehr als 200 Rufe von 15 verschiedenen Männchen mit der später eingeschlagenen Reiserichtung.

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Routenplanung schon am Tag vorher

Und tatsächlich: „Wir stellten fest, dass die Männchen die meisten Long Calls in jene Richtung abgaben, in die sie wenige Stunden später oder sogar nach ihrer Nachtruhe weiterzogen“, berichtet Co-Autorin Karin Isler. Nach dem ersten Ruf des Morgens wich der Weg der Tiere durchschnittlich acht Stunden lang um weniger als 90 Grad von der vorgegebenen Richtung ab. Brüllten die Männchen noch ein zweites Mal, signalisierten sie damit, sich umentschieden zu haben: Der zweite Long Call gab die Richtung meist genauer vor als der erste. Sogar vor dem Schlafengehen kommunizierten die Orang-Utans – allen voran der Chef der Gegend – ihre geplanten Routen.

Damit lieferten die Affen bis zum Nachmittag des kommenden Tages eine ungefähre Vorhersage ihres Weges – sie hatten ihn also nahezu einen ganzen Tag im Voraus geplant und sich unterwegs trotz zahlreicher Ablenkungen nicht davon abbringen lassen. Ihr geistiger Aufwand wird von den Artgenossen gewürdigt. Hatten die Weibchen abends einen Ruf gehört, machten sie sich morgens ungefähr in die gleiche Richtung auf wie das Männchen; Rivalen hingegen sahen zu, dass sie Land gewannen.

„All diese Erkenntnisse deuten klar auf die Fähigkeit von Orang-Utans hin, für die Zukunft zu planen“, schreiben van Schaik und sein Team. Solch ein Talent sei vermutlich in vielen ökologischen und sozialen Kontexten von Vorteil. Orang-Utans etwa profitieren davon, ihre Wege in großen und unübersichtlichen Territorien effizienter gestalten zu können – besonders, wenn es darum geht, einen Partner zu finden. Die Forscher vermuten, „dass diese Planungsfähigkeit nicht auf Orang-Utans beschränkt ist, sondern bei vielen Affen und womöglich in anderen Taxa von Tieren mit großem Hirn existiert.“ (PLOS One, 2013; doi: 10.1371/journal.pone.0074896)

(Public Library of Science, 12.09.2013 – NSC)

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