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Klima

Temperaturschwankungen unterschätzt

Statistisches Modell enthüllt gravierende Fehlschätzungen

Übliche Methoden zur Rekonstruktion vergangener Klimaveränderungen, die auf der Analyse von so genannten Proxydaten für das Paläoklima wie beispielsweise von Baumringen, Korallen und Eiskernen beruhen, unterschätzen wahrscheinlich die tatsächlichen Temperaturschwankungen um einen Faktor bis zu zwei, möglicherweise sogar noch mehr. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Studie einer internationalen Forschergruppe.

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Die von Prof. Dr. Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung des GKSS Forschungszentrums in Geesthacht koordinierte Studie wurde auf der Grundlage von Methoden zur Klimarekonstruktion und Computer-Simulationen des Klimas des letzten Millenniums erstellt. Ergebnisse dieser Studie wurden jetzt in der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Die vorgestellte Studie stellt eine Neuabschätzung der vergangenen Temperatur-Schwankungen dar. Sie soll, so die Wissenschaftler, weder Behauptungen in Frage stellen hinsichtlich der Identifizierung von Signalen der von Menschen gemachten Klimaänderungen in den letzten Jahrzehnten, die auf der Geschwindigkeit der Veränderungen beruhen, noch hinsichtlich wahrscheinlicher oder möglicher zukünftiger Klimaänderungen.

Schwankungen unterschätzt

Das Ergebnis ist von weitreichender Bedeutung, da Temperatur-Rekonstruktionen, die auf Proxy-Daten basieren, benutzt werden, um den Klimawandel der letzten 1.000 Jahre abzuschätzen, besonders durch das Intergovernmental Panel on Climate Change in seinem Third Assessment Report. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass solche Rekonstruktionen, die üblicherweise benutzt werden, um die jüngsten extremen Klimaänderungen hervorzuheben, wahrscheinlich irreführend sind.

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Sie unterschätzen die Temperaturschwankungen von Jahrhunderten möglicherweise ganz erheblich.

Proxy-Daten als Grundlage der Klimaforschung

Vor Beginn der beobachteten Erwärmung der letzten 150 Jahre durchliefen die Temperatur-Reihen der vergangenen 1.000 Jahre Kälte- und Wärmeperioden, teilweise als Folge von veränderter solarer Einstrahlung und Vulkanaktivität. Die am besten dokumentierte Kälteperiode war das so genannte Late Maunder Minimum um 1700, das in vielen historischen Quellen aus West-Europa dokumentiert ist. Das Wissen um die Größenordnung dieser vergangenen Schwankungen ist unverzichtbar für eine Beurteilung der von Menschen gemachten Klimaveränderung im Vergleich zu natürlichen Schwankungen. Umfassende, gemessene Temperaturreihen liegen allerdings erst seit etwa 150 Jahre vor.

Deshalb werden zur Abschätzung vergangener Temperaturschwankungen Proxy-Daten verwendet, die zum Beispiel aus Baumringen, Korallen und historischen Dokumenten abgeleitet werden. Solche Daten unterliegen jedoch nicht nur klimatischen, sondern auch nicht-klimatischen Einflüssen, wie z.B. biologischen oder sozialen. Sie erschweren die physikalische Interpretation. In diesem Sinne enthalten Proxy-Daten auch nichtnutzbare Informationen, die als „Noise“ bezeichnet werden. Proxy-Daten sind außerdem nur begrenzt verfügbar und nicht gleichmäßig über den Globus verteilt.

Modell testet Datenqualität

Wie gut sind die Rekonstruktionen? Ein direkter Test ihrer Qualität ist nicht möglich, da die realen Temperaturen der Vergangenheit nicht bekannt sind. Daher hatte die Wissenschaftlergruppe die Idee, mit Klimamodellen, wie sie zum Beispiel für Klimaänderungs-Szenarios des 21. Jahrhunderts benutzt werden, eine plausible Entwicklung des Klimas der letzten Jahrhunderte zu simulieren und dann die statistischen Methoden in dieser virtuellen Welt zu testen.

Hierfür wurden virtuelle Proxy-Daten aus den Modell-Daten abgeleitet, welche die gleichen statistischen Eigenschaften haben und gleiche Orte repräsentieren wie reale Proxy-Daten. Der Vorteil ist, dass in dieser virtuellen Welt alles bekannt ist und die „rekonstruierte“ Temperatur verglichen werden kann mit der „realen“ Temperatur. Um eine Zufälligkeit der Ergebnisse zu vermeiden, die resultieren würde, wenn nur ein Klima-Modell und nur eine einzige Rekonstruktionsmethode angewendet werden würde, wurde die Untersuchung mit Daten aus zwei verschiedenen Klima-Modellen und mit mehreren statistischen Rekonstruktionsmethoden durchgeführt.

Die wesentliche Schlussfolgerung dieser Studie ist, dass viele statistische Methoden, die auf einer linearen Regression beruhen, die dekadischen und hundertjährigen Temperaturschwankungen deutlich unterschätzen. Angewendet auf die Modell-Daten ergeben diese Methoden eine Schätzung der vergangenen Modell-Temperaturen, die mit der realen Modell-Temperatur wenig zu tun haben. Auch der Fehler-Bereich beschreibt den wirklichen Fehler nicht richtig.

(GKSS-Forschungszentrum Geesthacht, 04.10.2004 – NPO)

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