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Paläontologie

Rätsel um die Wurzeln der Säugetiere

Zwei neue Fossilfunde - zwei Versionen des Säugerstammbaums

So könnte der baumlebende Arboroharamiya jenkinsi ausgesehen haben © Zhao Chuang

Zwei Funde von säugetierähnlichen Wesen sorgen für Rätselraten und Uneinigkeit unter den Paläontologen. Denn beide Fossilien sind rund 160 bis 165 Millionen Jahre alt und beide besitzen bereits Säuger-Merkmale wie ein Fell und bestimmte Zahnstrukturen. Während das eine nach Ansicht der Forscher noch kein Säugetier ist und daher auf eine erst spätere Entstehung der Säugetiere hinweist, halten andere seinen Zeitgenossen bereits für einen unserer fernen Vorfahren. Wann diese Tiergruppe tatsächlich entstand, ist daher unklar, so das Fazit im Fachmagazin „Nature“.

Vom Maulwurf über die Fledermaus bis hin zum Blauwal – die Säugetiere sind ein Erfolgsmodell der Evolution: Sie haben eine enorme Formen- und Artenvielfalt hervorgebracht und sogar ein intelligentes Wesen, das sich fragt, wie diese Tiergruppe ursprünglich entstanden ist. Klar scheint: Bereits in der Mitte der Jurazeit waren die Dinosaurier schon nicht mehr allein – zwischen den Giganten wuselten bereits einige Vertreter der Säugetiere. Doch wann genau entstand der erste von ihnen?

Zwei in China entdeckte, gut erhaltene Fossilien liefern hierzu nun neuen Diskussionsstoff. Aus den Untersuchungen der Fossilien geht hervor, dass beide Wesen bereits einen Pelz besaßen und zur Gruppe der sogenannten Haramiyiden gehörten, säugetiereähnlicher Wesen, die 40 bis 50 Millionen Jahre vor dem Erscheinen der ersten echten Säuger lebten. Obwohl sich die beiden Fossilien ähneln, offenbarten Detailuntersuchungen durch zwei Forschergruppen prägnante Unterschiede, die zu gegensätzlichen Ansichten über die Einordnung dieser Tiere führten und damit auch über den Ursprung und die Entwicklung der Säugetiere.

Baumkletterer und Flauschratte mit Giftsporn

Die Paläontologen um Xiaoting Zheng von der Linyi University beschreiben ihr Arboroharamiya getauftes Untersuchungsobjekt als ein Wesen, das wahrscheinlich ein Pflanzen- oder Allesfresser war und Bäume bewohnte. Kiefer und Ohrbereich zeigen den Forschern zufolge typische Merkmale eines Säugetiers, zudem besaß das Tier bereits ein Fell. Sie ordnen Arboroharamiya deshalb auch dieser Gruppe zu. Ihre Zuordnung legt damit nahe, dass die Säugetiere bereits vor 215 Millionen Jahren entstanden sind – viel früher als bisher angenommen.

Rekonstruktion des bodenlebenden Proto-Säugers Megaconus © April Isch / University of Chicago

Forscher der Universität Bonn und von der chinesischen Shenyang Normal University untersuchten das zweite Fossil, das sie wegen seiner Höcker auf den Zähnen Megaconus tauften. Es lebte vor 165 Millionen Jahren und ist daher nur wenig älter als Arboroharamiya. Das Wesen war etwa so groß wie eine Ratte und verfügte bereits über ein weiches Fell, wie klar erkennbare Haarspuren im Gestein zeigen.

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Statt zu klettern lebte Megaconus wohl vorwiegend auf dem Boden. Denn seine Krallen waren zu wenig gekrümmt, außerdem waren Schien- und Wadenbein fest miteinander verwachsen. „Bei guten Kletterern müssen beide Unterbeinknochen gegeneinander flexibel sein“, erläutert Thomas Martin von der Universität Bonn. Da ihm diese Beweglichkeit in den Beinen fehlte, konnte das flauschige, rund 250 Gramm leichte Tierchen nicht vor Beutegreifern auf Bäume flüchten. Wehrlos war Megaconus trotzdem nicht: An seinen Hinterläufen befanden sich Sporne mit Giftdrüsen, die offenbar der Verteidigung dienten.

Säugetier oder nicht?

Aber war Mergaconus schon ein Säugetier? Nach Ansicht der Forscher eher nicht. Die Untersuchung seines Kiefers offenbarte urtümliche Züge, die Megaconus den Vor-Säugerformen zuordnet. „Megaconus bestätigt damit, dass viele Säugetiermerkmale wie das Fell sich schon entwickelte hatten, bevor die echten Säugetiere entstanden“, erklären die Forscher. Sie schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Haramiyiden noch nicht zu den echten Säugetieren gehörten und diese sich erst später, im Laufe der mittleren Jurazeit entwickelten.

Damit allerdings stehen sich zwei widersprechende Interpretationen der neuen Funde und zwei Versionen des Stammbaums der frühen Säugetiere gegenüber. In der einen gehörten die Haramiyiden bereits zu den Säugetieren – dafür sprechen einige Merkmale von Arboroharamiya, in der anderen waren sie nur Proto-Säuger, wie an Megaconus anzulesen. Was aber stimmt?

„Keine der beiden Versionen des Stammbaums kann alle bisherigen Daten erklären“, kommentieren Richard Cifelli vom Oklahoma Museum of Natural History und Brian Davis von der University of Louisville in „Nature“. Allerdigns sei das Fossil von Megaconus vollständiger als das von Arboroharamiya, und auch die Analysen zu ersterem seien umfassender. Dennoch sei es zu früh für eine endgültige Aussage. Die Forscher hoffen nun auf weitere Fossilfunde aus dieser entscheidenden Ära, um Antworten zu finden. Der Ursprung der Tiergruppe, die auch den Menschen hervorgebracht hat, bleibt daher bis auf Weiteres noch mit einem Fragezeichen versehen. (Nature, 2013; doi:10.1038/nature12353; doi:10.1038/nature12429)

(Nature, 08.08.2013 – MVI/NPO)

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