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Zoologie

Orang-Utans kommen von den Bäumen herunter

Die Menschenaffen Borneos verbringen viel mehr Zeit am Boden als bisher gedacht

Orang-Utans leben eigentlich vorwiegend in den Bäumen. © Lionel Leo / CC-by-sa 3.0

Man ging bisher davon aus, dass Orang-Utans vorwiegend auf Bäumen leben. Jetzt stellt ein internationales Forscherteam fest: Die Tiere verbringen auch Zeit am Boden – und zwar gar nicht so selten. Aber warum? Sie sind doch bekannt dafür, sich elegant von Ast zu Ast zu schwingen. Ihr Bodenleben könnte eine Anpassung an den veränderten und bedrohten Lebensraum auf Borneo sein, vermuten die Wissenschaftler.

Bislang gab es keine gesicherten Beweise dafür, dass sich Orang-Utans regelmäßig am Boden aufhalten. Für den Erhalt der Tiere und ihres Lebensraums ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, ihre Gewohnheiten zu kennen. Ein Forscherteam um Brent Loken von der Simon Fraser Universität in Kanada und Stephanie Spehar von der Universität von Wisconsin in den USA reiste daher in die östliche Region Kalimantans auf Borneo. Dort liegt mit dem Wehea Wald ein bekannter Ort der Primatenvielfalt. Hier ist auch die bisher am wenigsten untersuchte Orang-Utanart, Pongo pygmaeus morio, zu Hause.

„Orang-Utans sind scheu und daher ist es unwahrscheinlich, ihnen als Forscher direkt zu begegnen. Deshalb haben wir Kameras installiert, um einen Einblick hinter die Kulissen zu gewinnen“, erklärt Loken. Auf einem 38 Quadratkilometer großen Gebiet positionierten die Wissenschaftler ihre 78 Kameras an 43 Standorten am Boden. Über einen Zeitraum von acht Monaten wurden die Aufnahmen gemacht.

Einfach mal spazieren gehen

Das Ergebnis: Die großen Affen verbringen überraschender Weise viel Zeit damit, am Boden herumzuspazieren, statt auf den Bäumen herumzuklettern. Wie die Forscher beobachteten, hielten sie sich sogar ähnlich lange am Boden auf wie die bekanntermaßen bodenlebenden Makaken. Offenbar nutzen die Orang-Utans die Zeit am Waldboden sowohl um dort nach Nahrung zu suchen, als auch um einfach herumzulaufen.

Aber warum? Noch ist die neuentdeckte Vorliebe der Affen für den Untergrund für die Forscher ein Rätsel. Allerdings haben sie durchaus erste Vermutungen darüber, was die Orang-Utans zu diesem Verhalten bewegt: „Borneo besteht mittlerweile aus Nutzwaldgebieten, landwirtschaftlicher Forstwirtschaft und Bergbau – natürlicher Wald kommt nur noch inselartig vor“, so Loken. „Der Landschaftswandel könnte die Orang-Utans dazu zwingen, ihr Habitat und ihr Verhalten daran anzupassen“. Weil sie nicht mehr genügend miteinander verbundene Baumkronen und Äste zum Klettern und von Baum zu Baum schwingen finden, müssen sie immer häufiger auf den Boden ausweichen.

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Diese Entdeckung könnte auch Auswirkungen auf Schutzmaßnahmen haben. Denn die Orang-Utanart Pongo pygmaeus morio hat sich zwar bereits an ein Leben in einer Umgebung mit knappen Vorräten angepasst – sie hat größere Kiefer entwickelt um mehr Baumrinde als Früchte zu fressen. Aber trotzdem sind die Tiere für ihr langfristiges Überleben auch weiterhin auf natürlichen Wald angewiesen. Die Tiere können nicht einfach woanders hingehen, wann immer ihr Gebiet zerstört wird. „Unter anderem sind zumindest kleine Stücke an natürlichem Wald als Nahrungsquelle und Nistplatz für die Tiere unabdingbar“, erklärt Spehar.

Bedrohte Biodiversität

Der Wehea Wald ist einer der einzigen Regionen auf Borneo, in denen sich die Lebensräume von zehn Primatenarten überlappen. Fünf dieser Arten kommen sogar nur dort vor. Da Wehea insgesamt ein Ort mit hoher Biodiversität ist, wollen die Forscher bewirken, dass sein Status vom derzeitigen Produktionswald zum Schutzwald geändert wird. Jetzt leben 78 Prozent der Orang-Utans in ungeschützten Gebieten, daher ist es ihrer Ansicht nach wichtig, dass alle noch verbleibenden Wälder entweder geschützt oder nachhaltig bewirtschaftet werden.

Der Papierkram ist auch schon erledigt, nur die Mühlen mahlen langsam: „Wir wissen nicht, wann es gelingt, die Schutzstufe durchzusetzen, aber der Erhalt von Wehea und den restlichen Wäldern auf Borneo ist für die Orang-Utans überlebenswichtig“, sagt Loken. Glücklicherweise fallen 60 Prozent von Wehea unter das derzeitige indonesische Abholzungsmoratorium – so gibt es zumindest für die nächsten Jahre einen gesetzlichen Schutz.

(American Journal of Primatology, 2013; doi: 10.1002/ajp.22174)

(Wiley, 31.07.2013 – SEN)

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