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Zoologie

Filmaufnahmen im Hühnerei

Ein medizinischer Kernspintomograf diente den Forschern als Kamera

Die selbst konstruierte Bruthöhle - für die Luftfeuchtigkeit sorgte eine Wasserschale unter dem Ei. © Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

Erstmals ist es Wissenschaftlern gelungen, die Entwicklung eines Hühnerembryos bis zum Schlüpfen zu filmen – und zwar in Echtzeit und mittels Magnetresonanztomografie (MRT). Die Aufnahmen machen die angestrengten Bewegungen des Kükens und sogar den Blutfluss in seinen Adern sichtbar.

Die Forscher scannten ein befruchtetes Ei mit einem Magnetresonanztomografen (MRT), der sonst auch in der Medizin eingesetzt wird. Ergänzt mit einer weltweit einzigartigen Aufnahmetechnik und einer Geschwindigkeit von zwölf Bildern pro Sekunde wurde der Film erst möglich. Die Wissenschaftler der Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben die täglichen Entwicklungsstufen eines Hühnerembryos, dessen Bewegungen innerhalb der geschlossenen Eierschale und sogar das Schlüpfen sichtbar gemacht.

Um besonders gute Bilder des Embryos zu bekommen, musste das Team um Projektleiter Roland Tammer möglichst große Eier verwenden. „Die rund 65 Gramm schweren Eier der französischen Marans-Rasse waren für uns ein echter Glücksfall. Denn je größer die Eier, desto detailreichere Bilder können wir aufnehmen“, erklärt Tammer. Die zu Beginn der Forschung zehn Tage bebrüteten Hühnereier kamen in einen regulären Brutkasten mit 37,5 Grad Celsius und 70 bis 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Jeden Tag zur gleichen Zeit entnahmen die Forscher Shuo Zhang und Arun Joseph eines der Eier und justierten es zwischen einer Magnetspule, mit der sonst menschliche Kiefergelenke untersucht werden. Eine selbst konstruierte Bruthöhle aus einer Brötchentüte, die belüftet und gewärmt wurde, hielt die Brutbedingungen auch während des folgenden Scans in der großen MRT-Röhre aufrecht.

Akrobatik in der Eierschale

Wie ein Akrobat verdreht liegt das Küken im Ei, in Graustufen sind Gehirn, Augen und Schnabel zu erkennen. Am Bildschirm des Magnetresonanztomografen scheint in kleinen weißen Kreisen immer wieder das fließende Blut des aktiven Kükens hell auf. Es stößt mit seinem Kopf hin und her und schließlich durchbricht es die Eierschale. „Entscheidend war für uns, die natürliche Dynamik des Hühnerembryos zu beobachten“, so Tammer. Die unvorhersehbaren Bewegungen im Inneren des Eies waren bei der Bildaufnahme eine besondere Herausforderung. „Je stärker sich das Küken bewegte, desto komplizierter wurde es für uns, die Scan-Ebene nicht zu verlieren und Details exakt zu erkennen.“

MRT - Scan des Hühnerembryos © Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

Um vergleichbare Schnittbilder zu erhalten, wurde das Ei immer gleich ausgerichtet. Der Kopf des spiralartig eingerollten Vogels war der Hauptorientierungspunkt. „Wir haben uns auf das Gehirn und die Glaskörper der Augen als markante und helle Erkennungsmerkmale konzentriert. Diese konnten wir trotz aller Bewegungen immer am sichersten wiederfinden“, berichtet Tammer. Mit Schichtaufnahmen längs durch den Körper betrachteten die Wissenschaftler ab dem 20. Entwicklungstag aus verschiedenen Blickrichtungen die Körperhaltung, die Lage der Gliedmaßen und der inneren Organe. Neben der genauen Beobachtung der Entwicklung von Tag zu Tag war der Schlupfvorgang von besonderem Interesse für die Forscher.

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Schlüpfendes Küken in 60.000 Bildern

Das Schlüpfen selbst unterliegt biologischen Schwankungen. Nach 18 Tagen ist das Küken zwar voll entwickelt, aber erst nach 21 Tagen schlupfbereit. Bis es sich aus dem Ei herausgearbeitet hat, können dann wenige Stunden, aber auch schon einmal drei Tage vergehen. Der Schlupfvorgang des gescannten Marans-Kükens zog sich über mehr als 36 Stunden hin – im MRT-Gerät befand es sich mit Pausen rund 24 Stunden lang. „Es war unglaublich spannend zu sehen, wie sein Brustkorb arbeitete und welche Anstrengungen es aufbringen musste, um sich aus der Schale zu befreien“, so Tammer. In verschiedenen Bildserien wurden allein innerhalb der letzten 13 Stunden des Schlüpfens rund 60.000 MRT-Bilder aufgenommen. Aus den Aufnahmen der letzten Dreiviertelstunde des Schlupfprozesses entstanden schließlich mithilfe leistungsstarker Rechner zwei Videos.

Die Wissenschaftler verwendeten dazu das neue Bildgebungsverfahren FLASH 2, das im Jahr 2010 von dem Team um Jens Frahm, Leiter der Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH, entwickelt wurde. Damit können bis zu 50 Einzelbilder pro Sekunde aufgenommen werden. FLASH 2 ist – wie alle anderen MRT-Anwendungen auch – völlig unschädlich für den untersuchten Organismus. Die Anzahl der Aufnahmen ist daher aus medizinischer Sicht unbegrenzt möglich. „Wir konnten mit FLASH 2 von außen und ganz ohne das lebende Küken zu stören seine Bewegungen in der engen Eischale live mitverfolgen“, berichtet der Projektleiter. Dieses Verfahren könnte in Zukunft auch in der Medizin eingesetzt werden. Zum Beispiel für noch genauere Diagnosen oder bei Operationen unter gleichzeitiger MRT-Kontrolle.

Link zur PM mit dem Video

(Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, 11.07.2013 – SEN)

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