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Zoologie

Ratten schauen in zwei Richtungen gleichzeitig

Doppeltes Blickfeld hilft bei der Ausschau nach gefährlichen Raubvögeln

Ratten verarbeiten die Seheindrücke aus den Augen ähnlich wie andere Säugetiere. Trotzdem bewegen sich ihre Augen völlig unterschiedlich. Anders als beim Menschen können sie sich in entgegengesetzte Richtung zueinander ausrichten. © MPI f. biologische Kybernetik/ Kerr

Ratten sehen anders als wir: Ihre Augen bewegen sich nicht parallel wie bei uns, sondern teilweise sogar in einander entgegengesetzter Richtung. Das haben deutsche Forscher mit Hilfe von miniaturisierten Hochgeschwindigkeitskameras entdeckt. Der große Vorteil: Dadurch können die Nager mit einem Auge stets den Luftraum über sich im Auge behalten – und damit drohende Gefahr durch Greifvögel rechtzeitig erkennen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Der Nachteil dabei: 3D-Sehen können die Ratten dafür nur manchmal.

Die seitlich am Kopf gelegenen Augen vieler Säugetiere decken ein breites Gesichtsfeld ab. So können Nager beispielsweise die Bedrohung durch Räuber frühzeitig erkennen. Andererseits sollten sich die Gesichtsfelder der beiden Augen immer noch so weit überlappen, dass sie Objekte fixieren und Entfernungen präzise abschätzen können. Denn zum 3D-Sehen benötigt das Gehirn die sich überlappende Information bieder Augen. Das Sehsystem dieser Tiere muss daher zwei entgegengesetzten Ansprüchen genügen: Es soll möglichst weit aufgefächert sein und gleichzeitig aber maximal überlappen.

Um zu klären, wie die Natur dieses Dilemma gelöst hat, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen erstmals die Augenbewegungen von sich frei bewegenden Ratten näher untersucht. Dazu befestigten sie winzige, nur etwa ein Gramm schwere Kameras auf dem Kopf der Tiere, die die blitzschnellen Augenbewegungen sehr genau aufzeichnen können. Mithilfe einer ebenfalls neu entwickelten Methode zur Messung der Position und Richtung des Kopfes konnten die Wissenschaftler in jedem Augenblick die genaue Blickrichtung der Ratten rekonstruieren.

Ein Auge nach links, das andere nach rechts

Das Ergebnis des Kameraexperiments war völlig überraschend. Denn obwohl Ratten die Sehinformationen aus den Augen auf sehr ähnlichen Bahnen im Gehirn verarbeiten wie andere Säugetiere, bewegen sich ihre Augen offenbar ganz anders. „Wenn sich bei uns Menschen beispielsweise ein Auge nach links bewegt, wandert auch das andere Auge nach links und umgekehrt“, erklärt Studienleiter Jason Kerr vom MPI für biologische Kybernetik. „Bei den Ratten aber bewegen sich die Augen auch in entgegengesetzter Richtung.“ Vergleichbare Augenbewegungen sind auch von Chamäleons bekannt, allerdings bewegen sich die Augen der Echsen sogar komplett unabhängig voneinander.

In verschiedenen Verhaltensexperimenten haben die Neurobiologen herausgefunden, dass die Augenbewegungen der Ratten überwiegend von der Kopfposition des Tiers abhängen. „Wenn der Kopf nach unten zeigt, wandern die Augen nach hinten von der Nasenspitze weg. Hebt die Ratte den Kopf, blicken die Augen nach vorne, sie schielen sozusagen. Dreht das Tier den Kopf auf eine Seite, wandert das tiefere Auge nach oben, das andere nach unten“, so Kerr.

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Guter Überblick und keine Doppelbilder

Bei Menschen muss die Blickrichtung der Augen exakt aufeinander abgestimmt sein, damit ein Objekt fixiert werden kann. Schon eine Abweichung von weniger als einem Grad des Gesichtsfeldes verursacht Doppelbilder. Bei den Ratten weicht die Blickrichtung infolge der entgegengesetzten Augenbewegungen zwischen linkem und rechtem Auge um bis zu 40 Grad in horizontaler Richtung und bis zu 60 Grad in vertikaler Richtung ab.

Diese ungewöhnlichen Augenbewegungen sind offenbar eine Anpassung des Sehsystems an die Lebensbedingungen der Tiere, die für zahlreiche Vogelarten als Beutetiere dienen. Obwohl die beobachteten Augenbeweg ein Verschmelzen beider Gesichtsfelder verhindert, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die permanente Sicht in Richtung möglicher Angreifer aus der Luft die Überlebenschancen der Tiere stark erhöht. (Nature Online, 213; doi:10.1038/nature12153)

(Max-Planck-Gesellschaft, 28.05.2013 – NPO)

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