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Genetik

Alle Europäer sind genetisch eine Familie

Bewohner Europas sind genetisch enger miteinander verwandt als gedacht

Übereinstimmungen in DNA-Abschnitten (Kreisgröße= Treffer; Kreuz= Herkunft des Ausgangsgenoms). Osteuropäer sind stark untereinander verwandt (s.Polen), Iren haben erwartungsgemäß viele Gemeinsmkeiten mit Briten. © Ralph, Coop /PLoS Biology; doi: 10.1371/journal.pbio. 1001555.g003

Europäer sind enger untereinander verwandt als angenommen: Selbst Menschen, die durch den gesamten Kontinent voneinander getrennt sind, wie beispielsweise Iren und Türken, stammen von den gleichen Vorfahren ab. Und diese gemeinsamen Ahnen lebten erst vor tausend Jahren – also gemessen an der Menschheitsgeschichte quasi erst gestern, wie US-amerikanische Forscher im Fachmagazin „PloS Biology“ berichten. Ihre DNA-Analysen von rund 2.500 Menschen zeigen aber auch, welche Spuren die Geschichte in unserem Erbgut hinterließ.

Normalerweise gilt: Je weiter jemand entfernt lebt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er eng mit uns verwandt ist. Natürlich gibt es – gerade in Zeiten der Globalisierung – inzwischen reichlich Ausnahmen, aber für die längste Zeit unserer Menschheitsgeschichte spielte die räumliche Entfernung eine wichtige Rolle. Geografische Trennung ließ unter anderem verschiedenen Kulturen entstehen und prägte Völker. Andererseits hat es schon immer auch Wanderungen von Menschen über weite Entfernungen hinweg gegeben, beispielsweise in der Ära, als sich die Landwirtschaft vom Mittelmeer aus über Europa auszubreiten begann.

Wie eng verwandt die Europäer miteinander sind, war bisher unklar. „Denn die jüngere Geschichte der menschlichen Populationen ist ein komplexes Mosaik aus individueller Migration, großräumigen Populationsbewegungen und anderen demografischen Ereignissen“, erklären Peter Ralph und Graham Coop von der University of California in Davis. Aufschluss über die Verwandtschaft kann aber ein Blick in unser Erbgut geben.

Verwandt trotz großer Entfernung

Für ihre Studie werteten die Forscher die DNA von 2.257 Europäern aus ganz unterschiedlichen Regionen Europas aus. Sie suchten dabei nach DNA-Abschnitten, die bei der Vererbung an die Nachkommen nahezu unverändert als Block weitergegeben werden. Je mehr Generationen diese Sequenzen durchlaufen haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zerteilt, gekürzt oder verändert wurden. An der Länge dieser gemeinsamen Blöcke lässt sich daher ablesen, wie lange der letzte gemeinsame Vorfahre zweier Menschen zurückliegt.

Das Ergebnis: Im Durchschnitt trägt jeder Europäer rund 831 solcher DNA-Blöcke in seinem Erbgut. „Wir haben insgesamt 1,9 Millionen dieser langen Segmenten entdeckt und daraus die Verteilung der Ahnen unserer Probanden in Zeit und Raum ermittelt“, erklären die Forscher. Dabei zeigte sich erwartungsgemäß, dass der Grad der gemeinsamen Vorfahren mit steigender Entfernung zweier Menschen abnimmt – aber deutlich weniger stark als gedacht. Selbst Europäer von entgegengesetzten Enden des Kontinents teilen noch Millionen von genealogischen Ahnen, wie Ralph und Coop berichten. „Bemerkenswert ist, wie eng jeder mit jedem verwandt ist“, sagt Coop. „Auf genealogischer Ebene geht jeder Mensch in Europa auf fast den gleichen Satz von vor tausend Jahren lebenden Vorfahren zurück wie jeder andere.“

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Italien ist relativ stark genetisch isoliert, das zeigen die nur kleinen Kreise. Auch innerhalb der Population gibt es nur geringe Übereinstimmungen. © Ralph, Coop / PLoS Biology; doi:10.1371/ journal.pbio. 1001555.g003

Gene spiegeln Italiens wechselhafte Geschichte wider

Die genetischen Daten spiegeln aber auch entscheidende Ereignisse in der europäischen Geschichte deutlich wieder: So sind beispielsweise Italiener im Durchschnitt weniger eng untereinander und mit anderen Europäern verwandt. Ihre gemeinsamen Vorfahren liegen weiter zurück als die in anderen Gebieten. „Zudem gibt es in Italien eine deutlich ausgeprägte Substruktur genetisch voneinander abgegrenzter Bevölkerungsgruppen“, erklären die Forscher. Dies lasse sich dadurch erklären, dass gerade diese Region Europas in der Vergangenheit sehr häufig von wechselnden Kulturen unterschiedlicher Herkunft besiedelt wurde. Zudem reflektiere dies in Teilen auch die geografische Isolation von Populationen innerhalb Italiens.

Umgekehrt sind viele Bewohner Osteuropas enger miteinander verwandt als die Populationen im Westen. Auch dies ist nach Ansicht der Wissenschaftler eine Spur der Geschichte: Denn sie gehen auf eine kleine Gruppe gemeinsamer Vorfahren zurück, die zur Zeit der Hunnen aus dem Osten nach Europa kamen. Sie ließen sich erst in Ungarn und Rumänien nieder und breiten sich dann weit nach Westen und Norden aus. Um 600 nach Christus rückten dann die Vorfahren der slawischen Völker nach und besiedelten den östlichen Teil Europas.

Spuren der Migration sind auch im Erbgut der Briten erkennbar: Die meisten von ihnen sind enger mit einem beliebigen Iren verwandt als mit einem anderen Bewohner der britischen Inseln. Wie die Forscher erklären, spiegelt das die starke Einwanderung von Iren nach Großbritannien wider. „Deswegen haben viele Briten irische Vorfahren und sind daher enger mit diesen verwandt als mit einem Briten, der nicht von irischen Einwanderer abstammt“, erklären Ralph und Coop. (PloS Biology, 2013; doi:10.1371/journal.pbio.1001555)

(Public Library of Science, 08.05.2013 – NPO)

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