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Biologie

Stress der Mutter macht den Nachwuchs fitter

Vorgeburtliche Stresshormon-Dusche lässt junge Rothörnchen schneller wachsen

Rothörnchen beim Ausstoßen seines Territorialrufs © Ryan W. Taylor

Eigentlich gilt Stress in der Schwangerschaft als schlecht für das Kind. Denn die mütterlichen Stresshormone stören die Entwicklung des Ungeborenen. Aber es gibt offenbar positive Ausnahmen, wie ein internationales Forscherteam jetzt bei Rothörnchen entdeckte: Leidet die Hörnchen-Mama unter Stress, macht dies ihre Jungen fitter. Sie wachsen deutlich schneller heran und können sich daher eher ein gutes Territorium sichern. Das zeige, dass in der Natur Stress auch der Anpassung diene und Vorteile bringen könne, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.

In der Natur überlebt nur, wer sich anpasst. Wird die Nahrung knapp oder herrscht Überbevölkerung, müssen sich Tiere daher etwas einfallen lassen, um zumindest ihren Nachwuchs über die Runden zu bringen. Meist geschieht dies, indem die Eltern auswandern, manchmal auch, indem sie ihren Jungen Merkmale vererben, die diesen und deren Nachkommen Vorteile unter den erschwerten Bedingungen bringen. Dieser Anpassungsprozess geschieht allerdings meist über mehrere Generationen hinweg. Dass es auch schneller geht – und dies auf unerwartete Weise, haben jetzt Ben Dantzer von der University of Cambridge und seine Kollegen herausgefunden.

Riesenbabys bei Überbevölkerung

Die Forscher hatten über 22 Jahre hinweg eine Population von Rothörnchen (Tamiasciurus hudsonicus) im Yukon Territorium in Alaska beobachtet. Dabei war ihnen aufgefallen, dass immer dann, wenn die Populationsdichte sehr hoch war, besonders viele große und schnell wachsende Hörnchen-Babys geboren wurden. „Überraschenderweise war das der Fall, obwohl das Futterangebot nicht besser war als sonst“, erklärt Dantzer. Dank ihres Wachstumsschubs wurden die Jungen schneller erwachsen und konnten sich dadurch im folgenden Winter rechtzeitig vor ihren zahlreichen Konkurrenten ein Territorium sichern. Dieses gilt als wichtige Voraussetzung für die Hörnchen, um den harten Winter in Alaska zu überleben.

Aber was verschaffte den Riesenbabys diesen entscheidenden Überlebensvorteil? Die Forscher vermuteten, dass die Überbevölkerung im Hörnchengebiet und dessen Wirkung auf die Mütter die entscheidende Rolle spielt. Um dies zu untersuchen, machten sie sich die Territorialrufe der Hörnchen zu nutze. Diese schnarrenden Rufe stoßen die Tiere aus, wenn sie ihre Gebiete verteidigen. Je mehr Hörnchen dabei in einer Nachbarschaft leben, desto häufiger erklingt auch das Schnarren. Deshalb nahmen die Forscher zunächst die Rufe einiger schnarrender Hörnchen auf und spielten diese dann über längere Zeit einigen trächtigen Weibchen im Untersuchungsgebiet vor. Dadurch gaukelten sie den Hörnchen eine sechsfach höhere Populationsdichte vor als tatsächlich vorhanden. Eine Vergleichsgruppe bekam stattdessen nur neutrale Vogelstimmen zu hören.

Rothörnchenjunge vor dem Wiegen © Ben Dantzer

Wachstumsschub durch vorgeburtliche Stresshormone

Um die Stressbelastung der Rothörnchen zu ermitteln, entnahmen die Forscher allen Weibchen Blutproben und maßen darin den Gehalt von Stresshormonen. Nachdem die Jungen geboren waren, wurden diese zudem in regelmäßigen Abständen gewogen. Dabei zeigte sich: Die Hörnchen-Mamas, die in vermeintlich überbevölkerten Gebieten lebten, hatten einen 30 Prozent höheren Gehalt an Stresshormonen im Blut – soweit nicht weiter verwunderlich. Denn das Enge und Überbevölkerung Stress erzeugt, ist nicht neu. Überraschender war aber die Folge dieser Stressbelastung: Die Jungen, als Ungeborenen diesen erhöhten Hormonpegeln ausgesetzt worden waren, wuchsen schneller und wurden größer als der Nachwuchs der ungestressten Mütter.

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Dass tatsächlich die Stresshormone dafür verantwortlich sind, belegten die Forscher mit einem Zusatzversuch: Bei diesem fütterten sie einige trächtige, normal gehaltene Weibchen mit Cortisol-haltigem Futter und erhöhten so künstlich deren Stresshormonpegel. Das Ergebnis: Im Vergleich zu Kontrolltieren mit normalem Futter gebaren auch diese Weibchen deutlich fittere Jungen. Ihr Nachwuchs entwickelte sich 41Prozent schneller, wie die Forscher berichten.

„Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass Stress schlecht ist, zeigt unsere Studie damit, dass hohe Stresshormon-Werte bei Müttern ihrem Nachwuchs sogar helfen können“, erklärt Dantzer. Bei manchen wildlebenden Tieren fördere dieser vermeintlich negative vorgeburtliche Einfluss die Anpassung an schwierige Verhältnisse. Einen Haken hat die Sache allerdings, wie er einräumt: Die Jungen wachsen zwar schneller und ergattern so bessere Territorien, sie leben aber weniger lang als ihre Altersgenossen. „Die Kosten für den Startvorteil machen sich offensichtlich am Lebensende bemerkbar“, so Dantzer. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1235765 )

(Science, 22.04.2013 – NPO)

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