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Mikrobiologie

Berliner Ratten tragen multiresistente Keime

Erreger könnten über Rattenkot auf den Menschen übertragen werden

Ratten infizieren sich besonders leicht mit den resistenten Erregern, wenn sie in der Kanalisation leben. © gemeinfrei

Fast jede sechste Berliner Ratte trägt multiresistente Keime in sich. Diese Darmbakterien sind gegen viele gängige Antibiotika immun. Gelangen sie über Rattenkot in unseren Körper, könnten sie schwer bekämpfbare Infektionen auslösen. Wie Berliner Forscher im Fachmagazin „Antimicrobial Agents and Chemotherapy“ berichten, ist der Anteil der mit diesen Keimen infizierten Ratten doppelt so hoch wie in der menschlichen Bevölkerung. Bisher allerdings wurde noch keine Übertragung von Ratte auf Mensch nachgewiesen.

Die Verbreitung multiresistenter Keime ist weltweit ein immer größer werdendes Problem. Denn diese Erreger sind immun gegen gleich mehrere gängige Antibiotika und daher äußerst schwer zu bekämpfen. Besonders der multiresistente Staphyloccus aureus (MRSA) Stamm wurde in den letzten Jahren als Krankenhauskeim bekannt. Im Krankenhaus kommen diese und andere Keime besonders häufig in Kontakt mit Antibiotika und entwickeln entsprechende Anpassungsstrategien. Gleichzeitig können sie sich dort durch unzureichende Hygienemaßnahmen und die häufig bereits geschwächten Immunsysteme der Patienten besonders leicht ausbreiten. Aber auch viele gesunde Menschen tragen heute bereits, ohne es zu merken resistente Keime mit sich herum.

Enzym macht Bakterien immun gegen Antibiotika

Die Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin haben sich nun auf Bakterien konzentriert, die ihre Resistenzen durch ein spezielles Enzym erhalten, die sogenannte Extended Spectrum Betalactamase (ESBL). Dieses macht die Keime, darunter auch den Darmkeim Escherichia coli immun auch gegen neuere Antibiotika. „Im Gegensatz zu den MRSA-Keimen, die zuletzt Schlagzeilen machten, breiten sich die ESBL-Keime weltweit immer stärker aus“, sagt der Erstautor der Studie, Sebastian Günther. Außerdem gelten sie als hoch resistent. In Indien beispielsweise, wo die Antibiotika-Abgabe weniger reguliert wird, tragen bereits viel mehr Menschen den Keim in sich.

Für ihre Studie haben die Forscher nun untersucht, wie verbreitet Darmkeime mit ESBL-Resistenzen unter Berliner Straßenratten bereits sind. Sie prüften dafür 56 tote Ratten auf das Vorhandensein des ESBL-Keimes. Die Tiere stammten aus 19 verschiedenen Orten der Berliner Innenstadt: 47 Ratten gingen im Rahmen von Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen in die Falle, etwa in Parks oder auf der Straße. Neun Tiere stammten aus der Kanalisation Das Ergebnis: In 16 Prozent ihrer Proben fanden die Forscher die ESBL-Keime. Damit kommen die Keime bei Ratten etwa doppelt so oft vor wie in der gesunden menschlichen Bevölkerung. Etwa fünf bis acht Prozent der Europäer sind betroffen, ohne zu erkranken. Allerdings sei der Prozentsatz betroffener Ratten vergleichbar mit dem betroffener Krankenhauspatienten: Zwölf bis 16 Prozent weisen hier resistente Bakterien auf.

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Übertragung über Abwassersystem möglich

Die Details der Studie liefern zusätzlichen Einblick in mögliche Infektionswege: Denn neun der untersuchten Tiere stammten aus der Kanalisation. Bei diesen Tieren waren die ESBL-Keime doppelt so oft nachweisbar wie bei den oberirdisch gefangenen Ratten. „Für uns ist das ein Hinweis darauf, dass die Keime durch menschliche Fäkalien, etwa aus Kliniken, in die Tiere gelangen“, sagt Günther. Außerdem legen die Fundstellen – eine Ratte wurde in einer Wohnung gefangen – die Vermutung nahe, dass die Ratten die Keime über das Abwassersystem wieder in menschliche Nähe bringen können. Gefahr gehe dabei nicht von Rattenbissen aus, eher könne eine Schmierinfektionen mit Rattenkot zur Übertragung der resistenten Keime auf den Menschen führen. Eine Übertragung vom Tier auf den Menschen ist zwar bislang nicht belegt. Doch genetisch ähneln sich die Keime, die beim Menschen und beim Tier gefunden werden.

Seit dem Jahr 2010 hat Günther rund 250 Proben aus Rattenkot und toten Ratten auf multiresistente Keime untersucht. Er erhält die Proben und zusammen mit Angaben über die Fundstellen von Berliner Schädlingsbekämpfern. Zudem kooperiert er mit den Berliner Wasserbetrieben. „Eigentlich bräuchten wir für eine systematische Untersuchung viel mehr Proben“, sagt der Wissenschaftler, „aber Forschung zu Wildtieren wird in Deutschland völlig unzureichend gefördert.“ Außerdem ist es schwierig an Ratten zu kommen, weil meist nur ein Tier in die Falle tappt. Mit Rattengift getötete Tiere seien dagegen nur schwer wieder aufzufinden und dann oft in einem Zustand in dem sie meist nicht mehr zu untersuchen sein. (Antimicrobial Agents and Chemotherapy, 2013; doi: 10.1128/AAC.02321-12

(Freie Universität Berlin, 12.03.2013 – KBE)

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