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Medizintechnik

Widerhaken lassen Stachelschwein-Borsten leichter eindringen

Spezielle Mikrostruktur könnte als biologisches Vorbild für schonendere Injektionsnadeln dienen

Gut geschützt durch Stachelpelz: das Nordamerikanische Stachelschwein (Erethizon dorsatum). © National Park Service

Eine raffinierte Konstruktion macht die Borsten der nordamerikanischen Stachelschweine einzigartig: Einmal eingedrungen, verankern winzige Widerhaken die Stachelspitzen in der Haut jedes Angreifers. Aber nicht nur das: Die mikroskopisch kleinen Schüppchen lassen die Spitzen auch leichter in die Haut eindringen als jede Injektionsnadel. Das hat ein internationales Forscherteam bei mikroskopischen Analysen und Stichtests herausgefunden. Die Widerhaken der Stachelschwein-Borsten konzentrieren den Druck beim Eindringen ähnlich wie die Zähne eines gesägten Messers. Man benötige daher mit solchen Strukturen viel weniger Kraft um ein Gewebe zu zerteilen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Wie die Wissenschaftler herausfanden, richten die schuppenbewehrten Stachelspitzen deutlich weniger Schäden in der Haut an als eine glatte Nadel. Deshalb könnte ihre Struktur zukünftig gut als Vorbild für schonendere und weniger schmerzende Injektionsnadeln, Sonden oder Katheter dienen, meinen Woo Kyung Cho vom Massachusetts Institute of Technologie (MIT) in Cambridge und ihre Kollegen. Ein von ihnen entwickelter Nadel-Prototyp mit Mikro-Widerhaken nach Stachelschwein-Vorbild benötigte 80 Prozent weniger Kraft, um in Hautgewebe einzudringen als eine normale Nadel. Da das Gewebe dadurch weniger gequetscht werde, sei dies auch weniger schmerzhaft.

30.000 Stacheln als Abwehrwaffe

Die in Nordamerika vorkommenden Stachelschweine (Erethizon dorsatum), auch als Baumstachler bezeichnet, sind durch ihren dichten Borstenpelz gut gegen Angreifer geschützt. „Die mehr als 30.000 Stacheln auf ihrem Rücken lösen sich schon bei leichter Berührung“, erklären die Forscher. Während die entfernten Verwandten der Baumstachler, die Stachelschweine der Alten Welt, glatte Borstenspitzen besitzen, sind die Baumstachler-Borsten mit winzigen Widerhaken besetzt. Diese gleichen kleinen, leicht abstehenden Schuppen und sind etwa so breit wie ein menschliches Haar.

„Wir waren sehr überrascht, dass diese Widerhaken gleich eine doppelte Funktion haben“, sagt Studienleiter Jeffrey Karp vom Massachusetts Institute of Technologie (MIT). Denn meist dienen solche nach hinten gerichteten Schuppen oder Haken nur dazu, einen Stachel oder sonstiges Objekt in einem Gewebe festzuhalten. Jetzt zeige sich erstmals, dass solche Strukturen auch das Eindringen in ein Gewebe erleichtern.

Stichtests mit Nadeln und Stachelspitzen

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler die Stacheln von nordamerikanischen Baumstachlern zunächst mikroskopisch untersucht und bei einem Teil der Borsten die Widerhaken nachträglich entfernt. Anschließend führten mit beiden Borstentypen und einer Injektionsnadel der gleichen Dicke vergleichende Stichtests durch. Dabei maßen sie, wie viel Kraft nötig war, um die Stachelspitze in Muskelgewebe und Schweinehaut eindringen zu lassen.

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„Überraschenderweise benötigten die naturbelassenen Baumstachler-Borsten 54 Prozent weniger Kraft beim Eindringen als die widerhakenfreien“, berichten die Forscher. Die Stachelspitze mit den Widerhaken erforderte zudem signifikant weniger Arbeit und Kraft als eine gleich dicke Injektionsnadel. Das deute darauf hin, dass die überlappend angeordneten Hakenschuppen entscheidend dazu beitragen, das Eindringen der Stacheln zu erleichtern.

Wie die Forscher berichten, verformt sich während des Eindringens zunächst das Gewebe, bis eine kritische Schwelle erreicht ist und es aufreißt. Durch Dehnen und Zerreißen der Gewebefasern weite sich das Loch und ermögliche es dem Stachel, tiefer vorzudringen. Kraftmessungen zeigten, dass sich die Belastung bei den Borsten mit Widerhaken jeweils an den Spitzen der Haken konzentriert und dort das Gewebe durchtrennt, ohne größere Schäden anzurichten. Als Folge hinterlasse die Borste ein viel glatteres Loch als beispielsweise eine glatte Injektionsnadel. „Das ist wie bei Messern mit gesägter Schneide, die ebenfalls glattere Schnittkanten hinterlassen“, sagen die Forscher (doi:10.1073/pnas.1216441109).

(Proceedings of the National Academy of Sciences, 11.12.2012 – NPO)

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