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Physik

„Turbulenzrätsel“ in Rohren gelöst

Verringerung des Strömungswiderstands in Pipelines möglich

Turbulenzen in einem Rohr © Casimir van Doorne

Eine internationale Forschergruppe hat einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Turbulenzrätsels – dem Übergang von laminaren, „glatten“ Strömungen ohne Verwirbelungen zu „turbulenten“ Strömungen geleistet. In Experimenten am Strömungskanal in Delft ist es gelungen, in einer turbulenten Strömung in einem Rohr eine besondere Form von Wirbeln, so genannte laufende Wellen, nachzuweisen. Die Ergebnisse werden am 10. September 2004 im Wissenschaftsjournal Science veröffentlicht.

Die experimentellen Befunde unterstützen eine Hypothese, derzufolge eine turbulente Strömung sich um einige wenige laufende Wellen herum organisiert. Theoretisch waren die laufenden Wellen von Arbeitsgruppen der Universitäten Marburg und Bristol bereits vorhergesagt worden, nun sind sie experimentell nachgewiesen. Von ihren Arbeiten aus dem Bereich der Chaosforschung versprechen sich die Wissenschaftler auch Ideen und Konzepte, die zu einer Klärung von Aspekten des Turbulenzübergangs in Scherströmungen beitragen können. Anwendung finden können die Ergebnisse unter anderem bei der Verringerung des turbulenten Strömungswiderstands in Röhren, wie sie in großer Zahl in der Verfahrenstechnik und in Pipelines für den Transport von Öl und Gas eingesetzt werden.

Turbulenz als Alltagsphänomen

Turbulente Strömungen sind aus dem Alltag wohlbekannt, seien es die Bewegung der uns umgebenden Luft und Wolken, die Strömung von Flüssen oder die Wirbel beim Umrühren des Kaffees. Strömungen durch Rohre treten ebenfalls häufig auf: in der Verfahrenstechnik, in Wasserleitungen, aber auch in der Luftröhre oder den Blutbahnen. In den Naturwissenschaften ist die Turbulenz ein herausragendes Beispiel für eine komplexe, chaotische und durch Nichtlinearitäten dominierte Bewegung. Während ihre quantitative Beschreibung für Forscher nach wie vor eine große Herausforderung bleibt, bringt sie in der Praxis meist Nachteile, da der Strömungswiderstand einer turbulenten Strömung größer als der einer laminaren Strömung ist und zudem schneller mit der Strömungsgeschwindigkeit anwächst.

Von laminar nach turbulent

Der Übergang von einer laminaren zu einer turbulenten Strömung lässt sich leicht am Beispiel eines Wasserhahns demonstrieren. Bei vorsichtigem Aufdrehen kommt erst ein glatter, laminarer Strahl heraus: Die Flüssigkeitsteilchen darin bewegen sich parallel und geordnet nebeneinander her. Wird der Hahn weiter aufgedreht, kommt es zu einem Überschlag vom glatten zu einem verwirbelten, undurchsichtigen Strahl: Die Strömung wird turbulent.

Die Rohrströmung weist eine Besonderheit auf: Wenn sich bei ihr das laminare Strömungsprofil einmal eingestellt hat und nur schwach gestört wird, bleibt es bei allen Strömungsgeschwindigkeiten bestehen. Erst bei Störungen genügend großer Amplitude wird der laminare Zustand verlassen und es stellt sich eine turbulente Strömung ein. Damit koexistieren im Falle der Rohrströmung immer die laminare Bewegung und die turbulente. Zudem zeigen numerische Untersuchungen, dass der turbulente Zustand nicht dauerhaft besteht, sondern nach einer, wenn auch manchmal sehr langen Zeit, wieder zerfallen kann.

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Experiment ermöglicht Quantifizierung

Im Labor für Aero- und Hydrodynamik der Technischen Universität Delft haben der niederländische Doktorand Casimir van Doorne und der deutsche Postdoktorand Dr. Björn Hof ein Experiment aufgebaut, mit dem sich die Rohrströmung genau vermessen lässt. An einer Messstelle des etwa dreißig Meter langen Aufbaus werden die Flüssigkeitspartikel mit einem aufgefächerten Laserstrahl beleuchtet und stereoskopisch mit zwei Hochgeschwindigkeitskameras fotografiert. Aus zwei kurz hintereinander aufgenommenen Bildern lassen sich dann die Orte und Geschwindigkeitsvektoren der Teilchen rekonstruieren. Mit Hilfe dieser stereoskopischen „particle image velocimetry“ (PIV) lässt sich das lokale Geschwindigkeitsfeld in einer Querschnittsfläche vermessen.

Induziert man stromaufwärts gezielt eine Störung, zeigen sich, während diese Störung an der Messstelle vorbeiströmt, im Querschnitt die Wirbel und vor allem die charakteristischen Streaks. Weil ihre Zahl, Breite, Position und zeitliche Entwicklung gut mit den theoretischen Vorhersagen übereinstimmen, können die theoretisch vorhergesagten Strukturen nun als identifiziert gelten und weiteren Untersuchungen unterzogen werden.

Die Marburger Physiker Professor Bruno Eckhardt und Holger Faisst haben dieser Beobachtung noch ein Maß hinzugefügt: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Strömung nach einer bestimmten Zeit noch turbulent ist, fällt exponentiell mit der Zeit ab, und die Halbwertszeit einer turbulenten Strömung steigt sehr schnell mit der Reynoldszahl an. Dieses Verhalten ist von anderen chaotischen Systemen bekannt und deutet auf die Existenz eines so genannten chaotischen Sattels hin. Entscheidend für die weitere Bestätigung dieses Bildes war die Identifikation der Zustände, um die herum sich dieser Sattel bildet.

(Philipps-Universität Marburg, 13.09.2004 – NPO)

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