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Biologie

Ozeane: Zwei Drittel aller Bewohner noch unbekannt

Bestandsaufnahme liefert neuen Einblick in marine Artenvielfalt

Diese Aufnahme zeigt ein Korallenriff im Roten Meer. © Xavier Turon

Bis zu zwei Drittel aller Meeresbewohner warten noch immer auf ihre Entdeckung. Von den geschätzt knapp eine Million Pflanzen und Tieren in den Ozeanen wurden bisher erst rund 226.000 beschrieben, viele davon erst in den letzten Jahrzehnten. Das zeigt die bisher umfassendste Bestandaufnahme marinen Lebens durch ein Team von 270 Forschern aus aller Welt, welche jetzt im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlicht wurde.

Sie haben erstmals alle bekannten Arten in einem globalen Register zusammengetragen und ausgewertet. Demnach gibt es selbst in europäischen Gewässern – dem weltweit am besten erforschten Meeresgebiet – noch immer rund ein Drittel unbekannte Arten. Während unter den großen Meeressäugern und Krebsen nicht mehr viele Entdeckungen zu erwarten seien, habe man von anderen Organismengruppen wie den Meerasseln, Schnecken, Fadenwürmern und Kleinkrebsen bisher kaum mehr als 20 Prozent bestimmt.

„Zum ersten Mal haben wir einen detaillierten Überblick über die Artenvielfalt in allen großen Gruppen von Meeresbewohnern gewonnen“, sagt Erstautor Ward Appeltans von der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der UNESCO. Das World Register of Marine Species (WoRMS) spiegele den heutigen Stand des Wissens wider – und zeige auch, was man alles noch nicht über das Leben in den Ozeanen wisse.

1.271 Namen für 87 Walarten

Für ihre Studie hatten die 270 Forscher aus 32 Ländern alle veröffentlichten Beschreibungen von marinen Tieren und Pflanzen zusammengetragen. Zellkernlose Einzeller wie Bakterien und Archaeen habe man dabei ausgenommen, erklären sie. Die Auswertung dieser Einträge ergab, dass von den rund 400.000 Artbezeichnungen 40 Prozent Synonyme waren – Dopplungen, weil für die gleiche Art irrtümlich mehrere Namen vergeben worden sind. „Am häufigsten kam dies bei gut beschriebenen Tiergruppen wie den Walen vor: Hier existieren 1.271 Namen für nur 87 real existierende Arten“, berichten die Wissenschaftler. Ziehe man die Synonyme ab, komme man auf rund 226.000 bekannte marine Arten.

Aus der Verteilung der bekannten Arten auf die Hauptgruppen des Tier- und Pflanzenreichs und aus der Rate der Neubeschreibungen rechneten die Wissenschaftler mit Hilfe eines statistischen Modells dann hoch, wie viele Arten es wahrscheinlich noch in den Ozeanen gibt. „Die meisten bisherigen Schätzungen beruhten auf Umfragen unter Experten, ein globales Register gab es nicht“, berichten die Forscher. Daher lagen vorherige Schätzungen weit auseinander und viele davon seien eher zu hoch ausgefallen. Die globale Datenbank WoRMS erleichtere die Hochrechnung und enge die Zahl der noch unbekannten Meeresarten auf zwischen 704.000 bis 972.000 ein.

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Jedes Jahr 2.000 neue Arten

Wie die Wissenschaftler berichten, nimmt die Rate der Neuentdeckungen unter den marinen Arten momentan deutlich zu. Zurzeit werden jedes Jahr rund 2.000 neue Spezies beschrieben. „Die letzte Dekade war die produktivste Phase: Mehr als 20.000 neue Arten – neun Prozent aller bisher beschriebenen – wurden seit dem Jahr 2000 entdeckt“, schreiben Appeltans und seine Kollegen. Halte dieser Trend an, könnten ihren Schätzungen nach in den nächsten 50 Jahren weitere 100.000 Spezies beschrieben werden. Bis zum Ende des Jahrhunderts seien dann möglicherweise schon 95 Prozent aller Arten gefunden.

Ein Grund für die zunehmende Entdeckungsrate ist nach Ansicht der Forscher der technische Fortschritt. Mit Hilfe von moderner Taucherausrüstung, ferngesteuerten und autonomen Tauchrobotern und anderen Unterwassertechnologien könne man heute auch zuvor unerreichbare Lebensräume wie Tiefseequellen, Schlammvulkane, unterseeische Canyons oder Höhlen erforschen. „Tauchboote und Tiefseetaucher haben beispielsweise zur Entdeckung von 30 neuen Fischarten selbst in einer so gut erforschten Region wie den Galapagos-Inseln geführt“, berichten die Wissenschaftler (doi: 10.1016/j.cub.2012.09.036).

(Current Biology, 16.11.2012 – NPO)

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