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Biologie

Gehirnloser Schleimpilz löst Labyrinth-Aufgabe

Forscher weisen erstmals ein räumliches Gedächtnis bei einem nervenlosen Organismus nach

Schleimpilz Physarum polycephalum in Petrischale mit Agar-Nährboden. Die Ablagerungen auf der linken Seite markieren für den Schleimpilz den bereits erkundeten Bereich. © Audrey Dussutour

Obwohl Schleimpilze weder Gehirn noch Nerven besitzen, navigieren sie erfolgreich sogar durch Labyrinthe. Der aus einfachen Einzellern bestehende Verband nutzt den von ihm hinterlassenen Schleim als Wegmarkierung. Das zeigen Experimente eines internationalen Forscherteams mit dem Schleimpilz Physarum polycephalum. Die Einzeller erkannten am Schleim, wo sie bereits waren und mieden diese Bereiche. Dadurch konnten sie effektiver neue Wege erkunden. Dies sei ein einzigartiges Beispiel für ein primitives räumliches Gedächtnis bei einem nervenlosen Organismus, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Der Schleimpilz nutze die chemische Information des Schleims um sich selbst in einer komplexen Umwelt zu orientieren.

Nach Ansicht der Forscher könnte die jetzt entdeckte Form des externen Gedächtnisses auch in der Evolution der erste Schritt hin zu internen, fortgeschritteneren Formen der Erinnerung gewesen sein. „Unsere Ergebnisse widersprechen der vorherrschenden Ansicht, dass man zum Navigieren lernfähig sein muss und ein fortgeschrittenes räumliches Vorstellungsvermögen benötigt“, schreiben Chris Reid von der University of Sydney und seine Kollegen.

Einzellerverband meidet bereits verschleimte Bereiche

Die Forscher nutzten für ihre Experimente eine mit dem Nährmedium Agar gefüllte Petrischale als Versuchsarena. In einem ersten Test musste sich der Schleimpilz zwischen zwei y-förmig verzweigenden Gängen entscheiden. Beide Arme dieses Y-Labyrinths enthielten an ihrem Ende Futter, einer der Arme war jedoch bereits mit dem Schleim der Einzeller eingestrichen. „39 von 40 Schleimpilzen wählten bei diesem Ansatz den Arm ohne den Schleim“, berichten die Wissenschaftler. Das zeige, dass der Einzellerverband auf Futtersuche Bereiche meide, in denen bereits Schleim sei. Er erkenne offenbar, dass dieser Weg bereits abgesucht sei.

In einen zweiten Test dienten ein paar Tropfen Zuckerlösung an einem Ende der Schale als Lockmittel. In einer Hälfte der Ansätze blieb das Nährmedium unverändert, in der zweiten mischten die Forscher den Schleim des Schleimpilzes gleichmäßig darunter. „Dieser Zusatz maskiert die Schleimspur des Pilzes und müsste daher seine Navigationsfähigkeiten beeinträchtigen“, erklären die Wissenschaftler. An das dem Zucker gegenüberliegende Ende der Petrischale setzten die Wissenschaftler einige Zellen des Schleimpilzes. Der direkte Weg zum Zucker war diesem jedoch durch eine U-förmige Barriere versperrt. „Eine solche U-Barriere wird auch genutzt, um das räumliche Gedächtnis von mobilen Robotern zu testen“, erklären Reid und seine Kollegen.

In den Versuchen zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Testvarianten: „Von den 24 Durchgängen auf reinem Agar erreichten 96 Prozent der Schleimpilze das Ziel innerhalb von 120 Stunden“, berichten die Forscher. Bei den Ansätzen mit Schleim im Agar seien es nur 33 Prozent gewesen. Zudem hätten die Einzeller die durch die U-Barriere gebildete Sackgasse auf reinem Agar sehr viel schneller wieder verlassen und umgangen. Das zeige, dass sich der Schleimpilz anhand seiner Schleimspur orientiere, konstatieren Reid und seine Kollegen. Er navigiere selbst durch komplexe Umgebungen, indem er zuvor besuchte Bereiche meide. Dieser Mechanismus sei einem einfachen räumlichen Gedächtnis durchaus vergleichbar. (doi: 10.1073/pnas.1215037109)

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(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 09.10.2012 – NPO)

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