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Biologie

Schlafmangel macht Vogelmännchen sexy

Rund um die Uhr aktive Graubruststrandläufer haben mehr Nachkommen

Ein männlicher Graubruststrandläufer (Calidris melanotos) bewacht aufmerksam sein Revier. © Bart Kempenaers / MPI für Ornithologie

Wer wenig schläft ist erfolgreicher. Das gilt zumindest für den Graubruststrandläufer, einen an den Küsten der Arktis vorkommenden Vogels. Denn die Männchen, die an den hellen Tagen des Polarsommers am wenigsten schlafen, zeugen den meisten Nachwuchs. Das haben John Lesku vom Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Seewiesen und seine Kollegen herausgefunden. Sie hatten die Aktivität der Vögel mittels Sendern überwacht und Vaterschaftstests durchgeführt. Obwohl einige Vogelmännchen während der dreiwöchigen Balzzeit 95 Prozent der Zeit wach waren, gelang es ihnen am besten, ihre Reviere gegen Rivalen zu verteidigen und aktiv und erfolgreich um die Weibchen zu werben. Dies stelle bisherige Annahmen in Frage, nach denen Schlafmangel unweigerlich zu verminderten Leistungen führe, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“.

Schlaf gilt als wichtige Ruhezeit für den Körper und vor allem das Gehirn. „Wenn Menschen und andere Säugetiere zu unruhig und zu wenig schlafen, beeinträchtigt dies ihr Verhalten, ihre Koordination und ihr Gedächtnis“, erklären Lesku und seine Kollegen. Bei Tieren solle dieser Theorie nach sowohl das Überleben als auch der Fortpflanzungserfolg unter dem Schlafentzug leiden. Ob das tatsächlich immer so ist, die Forscher an den arktischen Graubruststrandläufern untersucht.

Drei Wochen Hochsaison für die Balz

Bei den Graubruststrandläufern gibt es keine festen Paarbindungen, die Männchen versuchen stattdessen, sich mit so vielen Weibchen wie möglich zu paaren. Die anstrengende Balzsaison dauert drei Wochen und liegt im Polarsommer, in der Zeit, in der die Sonne über der Tundra nachts nie ganz untergeht. „Die Männchen müssen ständig Konkurrenten mittels Territoriumsverteidigung und Zweikämpfen abwehren und gleichzeitig Weibchen durch umfangreiches Balzgehabe überzeugen“, sagt Studienleiter Bart Kempenaers vom MPI für Ornithologie. In dieser Zeit sollten diejenigen Männchen im Vorteil sein, die diesen extremen Anforderungen rund um die Uhr standhalten können.

Für ihre Studie hatten die Forscher knapp 150 Vogelmännchen in einem Brutgebiet nahe Barrow in Alaska kleine Sender auf den Rücken geklebt, mit denen sie Bewegungen und Aktivität der Vögel überwachen konnten. Aus den Aufzeichnungen und zusätzlichen Beobachtungen konnten sie auch ersehen, welche Männchen die meisten Kontakte zu Weibchen hatten. Bei 22 Männchen maßen die Forscher zudem die Hirnwellen, um die Schlaftiefe einordnen zu können. Ein Vaterschaftstest bei den später geborenen Küken zeigte, welche Graubruststrandläufer bei der Balz tatsächlich erfolgreich gewesen waren.

Imponiergehabe: Zwei männliche Graubruststrandläufer (Calidris melanotos) schreiten mit geschwellter Brust nebeneinander her. © Wolfgang Forstmeier / MPI für Ornithologie

Tiefschlaf gleicht Defizit nicht aus

Die Auswertung ergab, dass einige der Männchen während der drei Wochen nur fünf Prozent ihrer Zeit schlafend verbrachten. „Die Männchen, die am wenigsten schliefen, hatten aber den tiefsten Schlaf“, sagt Koautor Niels Rattenborg vom MPI in Seewiesen. Das aber habe nicht ausgereicht, um den Schlafmangel auszugleichen. Die Kurzschläfer hätten dennoch ein deutliches Schlafdefizit aufgewiesen. Dennoch hätten diese Männchen die meisten Kontakte mit Weibchen und auch die meisten Nachkommen gehabt.

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Auch langfristig scheint der Schlafentzug den Kurzschläfern unter den Graubruststrandläufern nicht zu schaden, wie die Forscher berichten. Denn im folgenden Jahr kehrten von ihnen zehn Prozent mehr ins Brutgebiet zurück als von den langschlafenden Männchen mit geringerer Nachkommenschaft. Und auch in diesem zweiten Jahr hatten die Kurzschläfer beim Nachwuchs wieder die Nase vorn. Das deute darauf hin, dass die Schlaflosigkeit während der Balzsaison eine evolutionär erfolgreiche Anpassung für diese Vogelmännchen sei, sagen die Forscher. Warum dann nicht alle männlichen Graubruststrandläufer diese Anpassung entwickelten sei noch nicht klar. Das müsse nun weiter untersucht werden. (doi:10.1126/science.1220939)

(Science, 10.08.2012 – NPO)

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