Forscher haben das bisher älteste Fossil eines Albatros im Nordseeraum entdeckt. Die Knochen des Urzeit-Vogels sind etwa 30 Millionen Jahre alt und zeigen, dass die Seevögel schon zu dieser Zeit die beträchtliche Größe ihrer heutigen Verwandten erreichten. Mühelos konnten sie stundenlang über das Meer fliegen, ohne dabei mit den Flügeln zu schlagen, wie die Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes im Fachmagazin „The Auk“ berichten. Die Evolution habe die Albatrosse zu perfekten Segelfliegern gemacht.
Heute leben die Albatrosse mit Spannweiten von teilweise mehr als drei Metern vorwiegend über den Meeren der Südhalbkugel. Dass dies nicht immer so war, haben nun Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes in Frankfurt und des Naturkundemuseums in Brüssel herausgefunden. Sie untersuchten Vogelknochen aus dem sogenannten Rupelton in Belgien und kamen zu dem Schluss, dass es sich hierbei um die Überreste eines fossilen Albatros handelt. „Die Knochen wurden schon vor über 100 Jahren gefunden, aber bisher nicht untersucht“, sagt Gerald Mayr, Sektionsleiter Ornithologie am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt.
Der Frankfurter Vogelexperte hat mit seinen Kollegen die besonderen Fundstücke genau unter die Lupe genommen und beschreibt sie als Tydea septentrionalis, eine neue Art aus der Familie der Albatrosse. Die Knochen stammen aus der Zeit des frühen Oligozäns – der Zeit vor etwa 30 Millionen Jahren – und wurden im Nordseebecken abgelagert. Sie sind damit der älteste Nachweis von fossilen Albatrossen aus dem nordeuropäischen Raum. Die wenigen versteinerten Überbleibsel der großen Flugkünstler aus anderen Ablagerungen der Nordsee sind erdgeschichtlich alle wesentlich jünger.
„Wir wissen nun, dass Albatrosse eine lange evolutionäre Entwicklungsgeschichte in Europa hatten, aber warum die Tiere in diesem Teil der Welt ausgestorben sind, ist uns weiterhin ein Rätsel“, so Mayr. Eine Verwechslung der beschriebenen Knochen mit denen anderer Vogelarten schließen die Wissenschaftler aus. „Die einzigen Vögel, mit denen – aufgrund ihrer Größe – eine Verwechslung möglich gewesen wäre, sind die ausgestorbenen Pseudozahnvögel. Verschiedene Merkmale, wie etwa die wesentlich dickere Knochenwand, zeigen aber, dass es sich hierbei eindeutig um einen Vertreter der Albatros-Familie handelt“, erklärt Mayr.
Urzeit-Vogel mit Flügelspannweiten von mehr als zwei Metern
Der neu beschriebene Vogel entsprach in seiner Größe in etwa dem heutigen Schwarzbrauenalbatros mit einer Spannweite von bis zu über zwei Metern und einer Körperlänge von etwa 80 Zentimetern. Mayr erläutert: „Die große Ähnlichkeit zwischen den untersuchten Flügelknochen mit denen heutiger Albatrosse lassen vermuten, dass die Vertreter vor 30 Millionen Jahren ähnlich lange Strecken im offenen Meer zurücklegen konnten, wie wir es von den Albatrossen der Gegenwart kennen.“
Heutige Albatrosse ernähren sich überwiegend von Tintenfischen und Fischen. Sie favorisieren Gebiete, in denen nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe der Meere an die Oberfläche steigt und kräftige Winde vorherrschen. Es ist gut denkbar, dass auch die fossilen Seevögel solche Bedingungen bevorzugten. „Die europäische Vogelwelt vor 30 Millionen Jahren unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der heutigen. Zu den bereits bekannten „exotischen“ Gruppen der Landvögel des frühen Tertiär, die es heute nicht mehr in Europa gibt – wie Kolibris, Mausvögel und Todis –, kommt nun ein mariner Vertreter hinzu“, resümiert Mayr. (The Au 2012; DOI: 10.1525/auk.2011.11192)
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 30.07.2012 – NPO)