Anzeige
Biologie

Gewagter Pendelschwung bringt Schaben in Sicherheit

Insekten schwingen sich an ihren Hinterfüßen unter Vorsprünge und Tischkanten

Diese Amerikanische Großschabe (Periplaneta americana) hat sich gerade mit einem Pendelschwung unter die Kante dieser Rampe in Sicherheit gebracht. © Jean-Michel Mongeau and Pauline Jennings / PolyPEDAL Lab UC Berkeley

Schaben und Geckos haben eine geniale Technik entwickelt, um blitzschnell unter Vorsprüngen oder unter einer Tischkante zu verschwinden: Sie rennen mit voller Geschwindigkeit auf den Abgrund zu, halten sich dann in letzter Sekunde mit den Hinterfüßen fest und schwingen wie ein Trapezkünstler kopfüber an die Unterseite des Vorsprungs. Diese Pendel-Technik haben US-amerikanische Forscher erstmals mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen beobachtet. Dieses Verhalten helfe den Insekten, aber auch einigen Geckoarten, sich schnell vor Feinden zu verbergen. Die neuen Erkenntnisse könnten auch dazu beitragen, Rettungs- und Bergungsroboter beweglicher zu machen, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „PLoS ONE“.

„Schaben höre nicht auf, uns zu überraschen“, kommentiert Studienleiter Robert Full von der University of California in Berkeley. Schalte man das Licht an oder mache eine Bewegung, ermögliche das extrem schnelle Reaktionsvermögen den Insekten, blitzschnell auf bis zu 50 Körperlängen pro Sekunde zu beschleunigen und sich in Sicherheit zu bringen. Dies entspreche einem Tempo von mehr als hundert Kilometern pro Stunde bei einem Lebewesen von der Größe des Menschen. Bereits vor einigen Jahren entdeckte der Forscher zudem, dass die Schaben sich bei schnellem Lauf auf ihre Hinterbeine aufrichten und ähnlich wie der Mensch aufrecht rennen. „Das macht sie unglaublich gut darin, Feinden zu entkommen“, sagt Full.

Ablauf eines Pendelschwungs über eine Kante bei einer Schabe (oben), einem Gecko (Mitte) und einem Roboter. © Mongeau et al. / PolyPEDAL Lab UC Berkeley

Zufallsentdeckung bei Schaben-Experiment

Wie die Schaben es schaffen, schnell von einer Kante zu kippen, entdeckten die Forscher fast durch Zufall. Denn eigentlich wollten sie in ihrem Experiment untersuchen, wie die Amerikanische Großschabe (Periplaneta americana) ihre Antennen einsetzt, um Spalten zu erkennen und zu überwinden. Doch als die Forscher den Spalt immer breiter machten, sprangen die Schaben nicht auf die andere Seite, sondern verschwanden auf der Unterseite der Versuchsrampe. „Mit dem bloßen Auge war nicht zu erkennen, was genau passierte“, sagt Erstautor Jean-Michel Mongeau von der University of California in Berkeley.

Aber als die Wissenschaftler die Schaben mit einer Hochgeschwindigkeitskamera filmten und diese Aufnahmen dann verlangsamten, zeigte sich die Strategie der Insekten: Sie nutzten die Klauen an ihren Hinterfüßen wie Enterhaken um sich an der Kante zu verankern und schwangen, daran aufgehängt, wie ein Pendel um die Kante.

Dabei verlangsamen die Schaben ihre Bewegung kaum, sondern behalten noch immer 75 Prozent der Bewegungsenergie aus dem Lauf, wie die Forscher berichten. Auf ihren Körper wirke im Moment des Schwingens die drei- bis fünffache Erdschwerkraft – dies sei vergleichbar mit dem Gefühl bei einem Bungeesprung, sagen die Forscher. Der Körper der Schabe dreht sich dabei einmal um 180 Grad, so dass am Ende die Beine oben sind. Mit ihnen klammert sich das Insekt anschließend an der Unterseite der Kante fest.

Anzeige

Geckos nutzen ähnlichen Pendelschwung

Wie die Forscher feststellten, sind die Schaben nicht die einzigen Tiere, die diese Kipp-Strategie beherrschen. Auch Geckos in Singapur besitzen hakenähnliche Zehennägel und können sich, mit ihnen festklammernd, unter Kanten schwingen. „Dieses Verhalten ist wahrscheinlich relativ weit verbreitet, weil es für kleinere Tiere ein effektiver Weg ist, um schnell außer Sicht zu kommen“, sagt Full.

Inspiriert von dieser Strategie der Natur, haben die Forscher gemeinsam mit Ingenieurs-Kollegen bereits kleine, sechsbeinige Roboter so umgerüstet, dass auch sie diese Pendeltechnik beherrschen. Statt der Hakenklauen diente den Robotern ein Stück Klettgewebe als Verankerung beim Schwingen. Dies erweitere das Bewegungsrepertoire der Roboter, meinen die Forscher. Nützlich sei das beispielsweise für Bergungsroboter, die in unwegsamem Gelände, beispielsweise in den Trümmern eines Gebäudes, eingesetzt werden. (doi:10.1371/journal.pone.0038003).

Das Quicktime-Video einer Schabe beim Schwung unter eine Kante findet man unter folgender Internet-Adresse: http://www.plosone.org/article/fetchSingleRepresentation.action?uri=info:doi/10.1371/journal.pone.0038003.s002.

(PLoS ONE, 11.06.2012 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

News des Tages

Feldhase

Genom des "Osterhasen" entschlüsselt

Erstes Bild der Magnetfelder ums Schwarze Loch

Ägypten: Wandbilder aus der Totenstadt

Wie das Klima den antarktischen Zirkumpolarstrom beeinflusst

Bücher zum Thema

Bionik - Das Genie der Natur von Alfred Vendl und Steve Nicholls

Verborgene Welten - Das geheime Leben der Insekten von David Attenborough

Erfindungen der Natur - - Bionik von Zdenek Cerman, Wilhelm Barthlott und Jürgen Nieder

Bionik - Neue Technologien nach dem Vorbild der Natur von Werner Nachtigall und Kurt Blüchel

Top-Clicks der Woche