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Paläontologie

Keine Explosion von Meeresaurier-Fossilien

Faulgase sind nicht schuld an durcheinander liegenden Knochen vieler Fossilien

Nicht explodiert: Ichthyosaurier-Weibchen mit herausgespülten Embryonen, gefunden in Holzmaden © UZH

Faulgase oder gar durch sie verursachte Explosionen von Kadavern sind nicht schuld an den durcheinander gewürfelten Knochen vieler Meeressaurier-Skelette. Das hat schweizerisch-deutsches Forschungsteam jetzt herausgefunden. Stattdessen zerfielen die Saurier vermutlich deshab, weil ihre Kadaver zwischenzeitlich längere Zeit an der Meersoberfläche trieben und erst dann teilweise in Einzelteilen wieder herabsanken. Die Sedimentologen und Paläontologen der Universitäten Zürich und Basel widerlegen somit den Mythos von explodierenden Meeresreptilien.

Das vor 182 Millionen Jahren verendete trächtige Ichthyosaurier-Weibchen aus Holzmaden gab den Forschern schon lange Rätsel auf: Das Skelett des ausgestorbenen Meeresreptils ist fast tadellos erhalten, die versteinerten Knochen des Muttertiers liegen weitgehend im anatomischen Verband. Ganz anders die Knochen der Ichthyosaurier-Embryonen: Sie liegen zumeist verstreut ausserhalb des Mutterleibes. Solch eigenartige Knochenanordnungen sind bei Ichthyosaurier-Skeletten immer wieder feststellbar.

Gemäß gängiger Lehrmeinung soll es sich dabei um die Folge von explodierten Kadavern handeln: Faulgase, die im Lauf des Zersetzungsprozesses entstehen, blähen den Kadaver und bringen ihn zum Platzen. Durch solche Explosionen sollen selbst Knochen von Embryonen aus dem Leib geschleudert werden können. Mit einer aufwendigen Messreihe und einer Analyse der physikalisch-biologischen Rahmenbedingungen gelang es einem Forschungsteam von Sedimentologen, Paläontologen und Forensikern, den Mythos von explodierenden Saurierkadavern zu widerlegen.

Faulgas-Druck viel zu gering

Um den Druck der jeweiligen Gase zu beurteilen, die im Inneren eines faulenden Ichthyosauriers tatsächlich entstehen können, suchten die Forscher Vergleichsmodelle und wurden bei menschlichen Leichnamen fündig: Menschen und viele Ichthyosaurier-Arten besitzen ein ähnliches Größenspektrum. Deshalb kann mit der Bildung ähnlicher Faulgasmengen bei ihrer Zersetzung gerechnet werden.

Am Institut für Forensische Medizin in Frankfurt am Main führten die Forsher für ihre Studie hundert Leichen durch den Bauchnabel ein Druckmessgerät in die Bauchhöhle ein. Die so gemessenen Faulgas-Drücke liegen bei lediglich 0,035 bar. Übertragen auf die Ichthyosaurier-Kadaver, die unter Wassersäulen von 50 bis 150 Meter zu liegen kamen, wären aber Faulgas-Drücke von mehr als 5 bis 15 bar erforderlich gewesen, um eine Explosion herbeizuführen. Dem Züricher Paläontologen Christian Klug zufolge sind Gasdrücke dieser Dimension und damit Explosionen unter diesen Bedingungen unmöglich: „Große Wirbeltierleichen, die sich zersetzen, können nicht als natürliche Sprengladungen fungieren.“ Und er ist überzeugt: „Unsere Ergebnisse lassen sich generell auf lungenatmende Wirbeltiere übertragen.“

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Was vor 182 Millionen Jahren tatsächlich geschah

Das Schicksal von Ichthyosaurier-Kadavern lässt sich laut den Forschen folgendermaßen rekonstruieren: Normalerweise sanken die Körper sofort nach dem Tod auf den Meeresgrund. In sehr tiefen lebensfreundlichen Gewässern wurden sie am Meeresboden durch Fäulnis, Aasfresser, knochenzerstörende Organismen und Lösungsvorgänge vollständig abgebaut. Bei geringerer Wassertiefe von nur bis zu 50 Metern und einer Temperatur über vier Grad Celsius trieben die Kadaver dagegen häufig durch die sich im Körperinneren ansammelnden Fäulnisgase wieder zur Wasseroberfläche auf. An der Wasseroberfläche zerfielen sie, dem Wellengang und Aasfressern ausgesetzt, innerhalb weniger Tage bis Wochen. Die absinkenden Knochen wurden großflächig auf dem Meeresgrund verstreut.

Mehr oder weniger im anatomischen Verband blieben Ichthyosaurier-Skelette nur unter sehr speziellen Voraussetzungen erhalten: Bei Sauerstoffarmut und mittleren Wassertiefen sowie unbedeutender Wasserbewegung. Weil nur dann die Faulgase durch den hohen Wasserdruck genügend stark komprimiert und in den Körperflüssigkeiten gelöst wurden und aufgrund fehlender Aasfresser die Kadaver nicht vollständig abgebaut wurden. Der Kadaver des Ichthyosaurier-Weibchens aus Holzmaden sank folglich auf den Grund des bis zu 150 Meter tiefen Meeres, wo er sich zersetzte. Dabei wurden die zerfallenen Embryo-Skelette durch geringfūgige Strömungen am Meeresgrund aus dem Mutterleib transportiert. (Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments, 2012; DOI: 10.1007/s12549-011-0067-z)

(Universität Zürich, 28.03.2012 – NPO)

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