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Astronomie

Auch Galaxien praktizieren Recycling

Wie Gas in ferne Galaxien zurückströmt und neue Sonnen hervorbringt

Recycling im All: Die Bilder zeigen jene sechs Galaxien, bei denen die Astronomen um Kate Rubin Gas beobachteten, das zurückfließt. Die meisten dieser Milchstraßen sind Scheibengalaxien mit Spiralarmen, ähnlich unserer Galaxis. Auf den Fotos erscheinen die Galaxien geneigt – offenbar sehen wir sie eher von der Seite. Das würde zu einem Szenario passen, in dem Materie vornehmlich senkrecht zur Scheibenebene ausströmt und dann von der Seite wieder auf die Galaxie zurückfällt. Die Aufnahmen entstanden mit der Advanced Camera for Surveys des Weltraumteleskops Hubble. © K. Rubin / Max-Planck-Institut für Astronomie

In vielen Galaxien gibt es Gas und Staub in rauen Mengen. Trotzdem reicht das Material nicht aus, um zu erklären, wie dort in dem beobachteten Maße ständig neue Sterne entstehen können. Als Lösung gilt ein gigantischer Recycling-Kreislauf, für den in unserer galaktischen Nachbarschaft konkrete Anzeichen existieren. Nun haben Forscher auch bei entfernteren Galaxien erste direkte Indizien für einen wichtigen Baustein galaktischen Recyclings gefunden: Gas, das zu den Galaxien zurückfließt und neue Sonnen hervorbringt.

Sternentstehungsgebiete wie der Orionnebel gehören zu den prächtigsten astronomischen Beobachtungsobjekten. Schätzungen zufolge wird in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, pro Jahr rund eine Sonnenmasse an Gas in neue Sterne umgesetzt. Verschafft man sich allerdings einen Überblick über das verfügbare Rohmaterial – Wolken von Gas und Staub – dann zeigt sich, dass unsere Galaxis ihre Sterngeburtsrate aus diesem Reservoir nicht länger aufrechterhalten könnte als ein paar Milliarden Jahre.

Kosmischer Materiezyklus

Unsere Milchstraße besitzt jedoch ein deutlich höheres Alter und ist immer noch aktiv. Weshalb? Offenbar, so eine Antwort von Forschern, findet zusätzliche Materie ihren Weg in diese Galaxien. Eine Möglichkeit: Sie strömt aus den riesigen Bereichen geringer Gasdichte, die den intergalaktischen Raum erfüllen, in die Milchstraßen ein. Anzeichen für eine solche „Fütterung“ fehlen jedoch.

Als weiterer Mechanismus ist daher von Astronomen ein gigantischer kosmischer Materiezyklus ins Spiel gebracht worden: Schon länger wissen die Forscher, dass aus vielen Galaxien Materie herausströmt – etwa, weil gewaltige Supernova-Explosionen – mit denen massereiche Sterne ihr Leben beenden – Materie herausschleudern. Oder weil sehr helle Sterne durch ihren schieren Strahlungsdruck Gas aus ihrer Nachbarschaft wegblasen.

Das Ziehen der Schwerkraft

Während das Gas aus einer Galaxie treibt, ist es jedoch dem ständigen Ziehen der Schwerkraft ausgesetzt. Überwiegt deren Einfluss schließlich, so könnte das Gas nach Ansicht der Wissenschaftler über Zeiträume von einigen Milliarden Jahren wieder auf die Galaxie zurückstürzen – so, wie ein nach oben geworfener Stein durch die irdische Schwerkraft wieder zu Boden stürzt.

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Das beschriebene Szenario könnte die Lösung des Rätsels liefern. Denn das Gas, das wir in den Galaxien finden, würde nur ungefähr die Hälfte des Rohmaterials ausmachen, das für die Sternentstehung zur Verfügung steht – große Mengen von Gas befänden sich noch auf Reisen, würden aber später in die Galaxie zurückkehren. Zusammengenommen würden das innergalaktische Gas und jenes Gas, das gerade den kosmischen Recyclingprozess durchläuft, ausreichen, um die beobachteten Sternentstehungsraten zu erklären.

Gas strömt auf die Galaxie zurück

Aber kann dieser Prozess überhaupt funktionieren? Würde das ausgestoßene Gas in die Galaxie zurückströmen? Oder würde seine Geschwindigkeit die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit der Galaxie übersteigen, also immer weiter in den Raum hinausfliegen, ohne jemals zurückzukehren? Bei lokalen, einige hundert Millionen Lichtjahre entfernten Galaxien zeigen die Beobachtungen in der Tat, wie Gas auf die Galaxie zurückströmt.

Bisher konnten die Astronomen aber nicht prüfen, wie sich das bei weiter entfernten Galaxien verhält, die deutlich schnellere Ausflüsse aufweisen. Wäre die Schwerkraft dieser Galaxien zu schwach, um das herausgeschleuderte Gas wieder zurückzuziehen, dann müssten die Forscher ihre Modelle für die Materialzufuhr auf galaktischen Skalen grundlegend überdenken.

Puzzlestück kosmischen Recyclings entdeckt

Jetzt hat ein Team um Kate Rubin vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie das Keck I-Teleskop auf dem Mauna Kea auf Hawaii genutzt, um das Gas von hundert Galaxien zu untersuchen. Die Welteninseln sind zwischen fünf und acht Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Für sechs dieser Galaxien fanden Rubin und ihre Kollegen erstmals direkte Anzeichen, dass im intergalaktischen Raum treibendes Gas wieder zurückströmt, wo es dann zur Sterngeburt beiträgt.

Dabei dürfte die beobachtete Strömung auch von der Orientierung einer Galaxie relativ zum Beobachter abhängen, so die Forscher. Außerdem bestimmten Rubin und ihre Kollegen nur die durchschnittliche Gasbewegung. Die Gesamtzahl der Galaxien, in die Gas einströmt, dürfte daher deutlich über den direkt aus den Messdaten folgenden sechs Prozent liegen und könnte bis zu 40 Prozent betragen. Damit haben die Astronomen ein wichtiges Puzzlestück des kosmischen Recyclings gefunden – und einen überzeugenden Hinweis darauf, dass sich das Rätsel des fehlenden Rohmaterials auf diese Weise lösen lässt. (Astrophysical Journal Letters, 2012)

(MPG, 15.03.2012 – DLO)

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