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Neurobiologie

Arm im Gips verändert Hirn

Forscher finden markante anatomische Anpassungen in sensorischen und motorischen Hirnarealen

Wer nach einem Bruch des rechten Oberarms nur noch die linke Hand benutzt, hat bereits nach 16 Tagen markante anatomische Veränderungen in bestimmten Hirngebieten. Dies haben jetzt Forscher belegt. Demnach wird die Dicke der linksseitigen Hirnareale reduziert, dagegen vergrößern sich die rechtsseitigen Areale, die die Verletzung kompensieren. Auch die Feinmotorik der kompensierenden Hand verbessert sich deutlich.

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Die Resultate der neuen Studie sind auch bedeutend für die Therapie von Schlaganfällen, bei der die Ruhigstellung eines Armes oder Beines zentral ist, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Neurology“.

Alles mit links

Was passiert im Hirn von Rechtshändern, wenn deren dominante Hand für zwei Wochen immobil ist? Diese Frage hat die Forscher um Professor Lutz Jäncke von der Universität Zürich und der Unfallchirurgie des Universitätsspitals Zürich beschäftigt. Für die neue Studie wurden zehn Rechtshänder mit gebrochenem rechten Oberarm untersucht.

Wegen des Gips oder einer Schlinge konnten die Versuchspersonen 14 Tage lang ihre rechte Hand nicht oder nur wenig bewegen. Sie benutzten daher für alltägliche Handlungen wie Essen, Zähneputzen oder Schreiben ihre linke Hand.

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Die Wissenschaftler nahmen nun die Gehirne der Patienten zweimal durch eine Magnet-Resonanz-Tomografie auf – zuerst 48 Stunden nach der Verletzung, das zweite Mal 16 Tage nach der Ruhigstellung des Armes. Darauf basierend analysierten die Neuropsychologen die graue und weiße Hirnsubstanz der Patienten. Sie berechneten die Dicke der Hirnrinde sowie die Werte des corticospinalen Traktes und maßen die Feinmotorik der linken freibeweglichen Hand.

Umlagerung der Hirnsubstanz

„Die Ruhigstellung der rechten Hand verändert in Kürze die sensorischen und motorischen Hirnareale“, so der Studienautor Nicki Langer. Die graue und weiße Hirnsubstanz der Motorareale in der linken Hirnhälfte, die die ruhiggelegte rechte Hand kontrollieren, nimmt ab. Hingegen wächst den Forschern zufolge die Hirnsubstanz der rechten motorischen Areale, die die untergeordnete linke Hand kontrollieren.

„Interessant ist, dass sich während der 16 Tage dauernden Ruhigstellung die Feinmotorik der linken Hand deutlich verbessert hat“, ergänzt der Neuropsychologe Jäncke. Die motorische Leistungsverbesserung korreliert mit den anatomischen Veränderungen: Je besser die feinmotorischen Fähigkeiten der linken Hand, desto mehr Hirnsubstanz im rechten motorischen Areal. Und: Je besser die Feinmotorik der linken Hand, desto weniger Hirnsubstanz im linken motorischen Areal.

Ergebnisse für Schlaganfalltherapie interessant

Die Studienergebnisse sind nach Angaben der Wissenschaftler auch für die Therapie von Schlaganfällen interessant. So wird beispielsweise bei einem Behandlungsansatz der unbeschädigte Arm ruhiggestellt, um den betroffenen Arm zu stärken und das entsprechende Hirnareal für neue Fähigkeiten zu stimulieren.

„Unsere Studie zeigt, dass diese Art der Therapie sowohl positive als auch negative Effekte hat“, meint Langer. „Zudem stützt unsere Studie die Richtlinien der Traumachirurgie, die vorschreiben, dass ein verletzter Arm oder ein verletztes Bein nur so kurz wie möglich, und so lang als notwendig ruhiggestellt werden soll“, schließt Langer. (Neurology, 2012; doi: 10.1212/WNL.0b013e31823fcd9c)

(Universität Zürich, 18.01.2012 – DLO)

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