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Neurobiologie

Ionenkanal macht Nacktmull immun gegen Schmerz

Selbst Säure löst keine Schmerzreaktion aus

Nacktmull im Labor © MDC

Der afrikanische Nacktmull, eines der ungewöhnlichsten Säugetiere der Erde, empfindet keinen Schmerz, wenn er mit Säure in Berührung kommt. Den Grund dafür haben jetzt Forscher des Max-Delbrück-Centrums (MDC) in Berlin aufgedeckt: Wie sie im Fachmagazin „Science“ berichten, besitzen die Nacktmulle einen veränderten Ionenkanal in ihren Schmerzrezeptoren. Er wird durch die Säure abgeschaltet und macht die Tiere so immun gegen diesen Schmerz. Offenbar haben sich die Nacktmulle im Laufe der Evolution an ihre extremen Lebensbedingungen in engen, Kohlendioxid-reichen Höhlen angepasst.

Der afrikanische Nacktmull (Heterocephalus glaber) lebt dichtgedrängt in engen Höhlen, wo der Kohlendioxidgehalt (CO2) der Luft sehr hoch ist. Ein Mensch oder auch andere Säugetiere könnten in dieser Luft kaum überleben. Hohe CO2-Konzentrationen und Säure verursachen normalerweise bei allen Säugetieren und damit auch beim Menschen sehr schmerzhafte Verätzungen und lösen Entzündungen aus. So ist das Gewebe von Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen wie zum Beispiel Rheuma, stark mit Säure angereichert. Der Säuregehalt des Gewebes aktiviert die Schmerzfühler.

onenkanal als wichtiger Schmerzfühler

Auch Nacktmulle haben solche Schmerzfühler. Sie reagieren beispielsweise genauso empfindlich wie Mäuse auf Hitze und Druck. Bei der Weiterleitung schmerzhafter Reize an das Gehirn spielt auch bei den Nacktmullen der Ionenkanal Nav1.7 eine Schlüsselrolle. Er löst in den Schmerzfühlern, sensorischen Nervenzellen, deren Endigungen in der Haut liegen, einen Nervenimpuls aus, der an das Gehirn weitergeleitet wird und „Schmerz“ signalisiert. Substanzen, die diesen Kanal blockieren, werden daher zum Beispiel zur lokalen Betäubung beim Zahnarzt eingesetzt. Menschen, bei denen dieser Ionenkanal auf Grund genetischer Mutationen beschädigt ist, fühlen keinen Schmerz.

Warum aber empfinden die Nacktmulle bei Kontakt mit Säure keinen Schmerz, obwohl auch sie den Ionenkanal Nav1.7 besitzen, wie andere Säugetiere, darunter Mäuse und der Mensch? Um das herauszufinden verglichen die MDC-Forscher um Ewan St. John Smith und Gary Lewin die Funktion dieses Ionenkanals bei den Nacktmullen und bei den Mäusen. Sie verglichen ihre Daten auch mit dem entsprechenden Ionenkanal beim Menschen.

Säure blockiert Ionenkanal statt ihn zu aktivieren

Jetzt konnten sie zeigen, dass der Ionenkanal NaV1.7 der Nacktmulle sich von dem der Maus und des Menschen in seinem Aufbau unterscheidet. Ionenkanäle sind Proteine, die aus Aminosäuren aufgebaut sind und deren Bauanleitung in den Genen liegt. Bei dem speziellen Ionenkanal des Nacktmulls sind drei Aminosäuren verändert. Diese drei veränderten Proteinbausteine führen dazu, dass der Ionenkanal des Nacktmulls sehr stark beieinträchtigt ist und von der Säure blockiert wird. Dieses Phänomen ist auch bei dem Ionenkanal Nav1.7 von Mäusen und Menschen zu beobachten. Es ist aber so schwach, dass die Weiterleitung von Schmerzsignalen kaum gestört ist.

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Beim Nacktmull hingegen reicht dieser veränderte Ionenkanal aus, um die Reizweiterleitung zu unterbinden. Die Forscher erklären sich die Genveränderung in dem Ionenkanal damit, dass sich die Nacktmulle im Laufe der Evolution an die hohen CO2-Konzentrationen in der Luft angepaßt haben und damit unempfindlich gegen den durch Säure ausgelösten Schmerz geworden sind. Das ist auch dann der Fall, wenn sich in den Nervenzellen der Nacktmulle andere Ionenkanäle durch den Säurereize anschalten, die normalerweise Schmerzrezeptoren aktivieren würden.

Was bedeuten die Forschungsergebnisse der MDC-Forscher für Patienten mit entzündlichen Erkrankungen, bei denen dieser Ionenkanal ständig aktiviert ist? Nach Angaben von Lewin ist die Pharmaindustrie bereits dabei, kleine Moleküle zu entwickeln, die diesen Ionenkanal blockieren sollen. Die Erkenntnisse des Labors von Lewin könnte helfen, kleine Moleküle zu entwickeln, die ganz gezielt die veränderte Stelle des Ionenkanals blockieren. (Science, 29011; doi:10.1126/science.1213760)

(Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), 16.12.2011 – NPO)

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