Schon vor rund 2.600 Jahren gab es in antiken griechischen Städten große Gewerbegebiete. Das haben Archäologen bei Ausgrabungen in Sizilien entdeckt. In den Ruinen der antiken Stadt Selinunt stießen sie auf Reste eines Handwerkerviertels, in dem sich zahlreiche Töpferwerkstätten konzentrierten. Das Viertel liege am Rand der Siedlung, direkt im Schatten der Stadtmauer, berichten die Forscher. Es habe sich wahrscheinlich mehr als 600 Meter entlang der Mauern hingezogen und sei damit eines der größten Handwerkerviertel der griechischen Antike.
„In welchem Maß es bei den alten Griechen schon so etwas wie Gewerbegebiete gab, ist eine Frage, die in Fachkreisen bis heute diskutiert wird“, sagt Gabriel Zuchtriegel von der Universität Bonn, einer Archäologen, die die Ausgrabungen in Selinunt koordinieren. Die Konzentration von bestimmten Industrien und Handwerkern in speziellen Vierteln setze nicht nur vorausschauende Planung voraus, sie hänge auch mit einer bestimmten Vorstellung davon zusammen, wie man eine Stadt am besten organisiert – in praktischer, aber auch in sozialer und politischer Hinsicht. Die Ausgrabungen in Selinunt bestätigten nun, dass es solche Gewerbegebietet in der Antike bereits gab.
Bei den Grabungen stießen die Archäologen auf Reste von riesigen Öfen mit bis zu sieben Metern Durchmesser. Nach Ansicht der Forscher müssen die antiken Töpfer sich zu Kooperativen zusammengeschlossen haben, die diese Öfen dann gemeinsam benutzten. Die Lage dieser Töpferwerkstätten am Stadtrand sei in mehrerer Hinsicht vorteilhaft: „Qualm, Gestank und Lärm belästigten auf diese Weise nicht so sehr die anderen Bewohner“, sagt Zuchtriegel. „Gleichzeitig konnten Öfen und Lager von mehreren Handwerkern gemeinsam benutzt werden.“
Fundstücke spiegeln Entwicklung des Handwerkerviertels wieder
Die Funde aus dem Handwerkerviertel stammen aus der Zeit vom 7. bis zum 3. Jahrhundert vor Christus. Aus den ausgegrabenen Relikten konnten die Archäologen die Entwicklung der Gewerbegebiete in dieser Zeitspanne ablesen: Breit gefächerte Funde von Tongefäßen, Ziegeln und Bronze deuten darauf hin, dass Wohn- und Arbeitsbereiche in der Frühzeit noch zusammen lagen, wie die Forscher berichten. Im Lauf des 5. Jahrhunderts vor Christus seien beide Bereiche dann immer mehr getrennt worden.
Aus Funden von älteren Werkstattresten unter dem Handwerkerviertel schließen die Archäologen, das es aber auch schon vor der Trennung Töpferwerkstätten an dieser Stelle gab. Möglicherweise seien schon bei der Anlage der Stadt, die wie bei vielen Koloniegründungen im Vorhinein geplant wurde, Handwerker bewusst am Rand angesiedelt wurden.
Soziale Verhältnisse bei einer Koloniegründung unklar
„Bis jetzt wissen wir noch wenig über die sozialen Verhältnisse, die bei einer Koloniegründung herrschten“, sagt Grabungsleiter Martin Bentz von der Universität Bonn. Sicher sei nur, dass es oft Hunger und Not waren, die die Siedler bewegten, auszuwandern und eine neue Stadt zu gründen. Unter welchen Bedingungen die einen von ihnen Töpfer wurden, die anderen Bauern, wieder andere sogar reiche Großgrundbesitzer, sei noch unklar. Antworten erhoffe man sich unter anderem von den Ausgrabungen in Selinunt.
Die Bonner Archäologen führen die Ausgrabungen in der griechischen Koloniestadt Selinunt auf Sizilien in Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden und dem Deutschen Archäologischen Institut in Berlin durch. Ziel des Projekts ist die Erforschung eines bislang wenig beachteten Lebensbereiches der antiken Stadt. Die jüngsten Funde stammen aus zwei Grabungskampagnen im September 2010 und im Herbst 2011.
(Universität Bonn / dapd, 10.11.2011 – NPO)