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Evolution

Homo sapiens besiedelte Europa früher als gedacht

Fossilfunde belegen Präsenz unserer Vorfahren schon vor 45.000 Jahren

Foto des in der Kent's Cavern in Südengland gefundenen 41.000 bis 44.000 Jahre alten Oberkieferknochens eines Homo sapiens. © Chris Collins (Natural History Museum, London) and Torquay Museum

Unsere Vorfahren kamen bereits einige tausend Jahre früher nach Europa und breiteten sich schneller auf dem Kontinent aus als bisher angenommen. Schon vor rund 45.000 Jahren lebten sie in Südeuropa und vor 44.000 Jahren hatten sie bereits das Gebiet des heutigen Englands erreicht. Das belegen Neuanalysen von zwei Fossilfunden aus Italien und England, über die zwei Forscherteams im Fachmagazin „Nature“ berichten. Zuvor galten die ältesten Spuren des Homo sapiens in Europa als maximal 39.000 bis 41.000 Jahre alt.

Beide Funde werten die Wissenschaftler als Beleg dafür, dass unsere Vorfahren einige tausend Jahre länger mit den Neandertalern gemeinsam in Europa lebten als bisher angenommen. Zudem deute der Fund eines so alten Homo sapiens-Fossils in England auf eine sehr schnelle Ausbreitung des modernen Menschen von Südeuropa in den Norden hin.

Bei einem der neu untersuchten Funde handelt es sich um zwei fossile Zähne, die in den 1960er Jahren in einer Höhle in Italien gefunden wurden waren. Die auf ein Alter von 43.000 bis 45.00 Jahren datierten Zähne galten lange Zeit als Relikte des Neandertalers. Erst die Neuanalyse ordnete sie unserem Vorfahren, dem Homo sapiens, zu. „Diese Datierung bedeutet, dass diese zwei Zähne die ältesten modernen Menschen in Europa repräsentieren, die man bisher kennt“, sagt Erstautor Stefano Benazzi von der Universität Wien.

Gegenstände der altsteinzeitlichen Uluzzian-Kultur, gefunden in der Grotta del Cavallo in Italien. © Annamaria Ronchitelli und Katerina Douka

Kieferknochen ist ältestes Homo sapiens-Fossil Nordwesteuropas

Das zweite neu analysierte Fossil besteht aus einem Oberkieferknochen des Homo sapiens, der 1927 in einer Kalksteinhöhle im Südwesten Englands entdeckt worden war. Forscher hatten diesen Knochen zunächst auf ein Alter von nur 35.000 Jahren datiert. Jetzt habe man festgestellt, dass dieser Kieferknochen bereits zwischen 41.000 und 44.000 Jahre alt sei, berichten Tom Higham von der Oxford University und sein Team.

„Spuren von so alten modernen Menschen sind zuvor nur in Südosteuropa gefunden worden, in Westeuropa waren sie so früh bisher nicht bekannt“, sagt Higham. Der Kieferknochen sei damit der älteste Beleg für die Präsenz des Homo sapiens im Nordwesten des Kontinents.

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Noch sei unklar, ob unsere Vorfahren den europäischen Kontinent in einer oder in mehreren Migrationswellen kolonisierten, sagen die Forscher. Auch welche Routen der Homo sapiens aus dem Süden bis in den Nordwesten genommen habe, sei noch nicht bekannt. Das müsse nun anhand weiterer Fossilfunde rekonstruiert werden.

Lage der Grotta del Cavallo (roter Pfeil) in der Bucht von Uluzzo in Apulien, Süditalien. © Annamaria Ronchitelli

Früheste Steinzeitkultur ist doch Werk des Homo sapiens

Das neue Wissen über die beiden Fossilfunde werfe auch ein neues Licht auf die Fähigkeiten und das Verhalten unserer Vorfahren, sagen die Forscher. Denn es schließe eine Lücke zwischen den ältesten Funden steinzeitlicher Kulturgüter wie Werkzeugen oder Schmuck und den frühesten Fossilfunden des Homo sapiens.

Die beiden Zähne aus der italienischen Grotta del Cavallo wurden in einer Schicht entdeckt, in der sich auch Relikte der sogenannten Uluzzian-Kultur befanden. Die Angehörigen dieser frühmenschlichen Kultur stellten bereits Schmuck und Knochenwerkzeuge her und nutzten Farbstoffe zum Färben von Haut und anderen Gegenständen. Welche Menschenart diese Kultur hervorbrachte, war jedoch lange Zeit unklar.

Weil die in der Uluzzian-Schicht gefundenen Zähne ursprünglich den Neandertalern zugeordnet worden waren, galt dieser bisher als der Urheber dieser Kultur. „Wir haben jetzt bestätigt, dass moderne Menschen und nicht Neandertaler die Uluzzian-Kultur geschaffen haben“, sagt Benazzi. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature10617, doi:10.1038/nature 10484)

(Nature / dapd, 03.11.2011 – NPO)

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