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Medizin

Körpereigenes „Dioxin“ macht Hirntumore aggressiver

Wissenschaftler entdecken neuen Stoffwechselweg

Im Hirntumorgewebe kann sowohl das Enzym TDO (rot) als auch der Dioxin-Rezeptor AHR (braun) in denselben Arealen nachgewiesen werden. © Nature (Färbung: Felix Sahm, Abteilung Neuropathologie, Universitätsklinikum Heidelberg)

Deutsche Forscher haben einen neuen Stoffwechselweg entdeckt, der bei Patienten mit bösartigen Hirntumoren den Tumor aggressiver macht und das Immunsystem schwächt. Die Blockierung dieses Stoffwechselwegs mit Hilfe von Medikamenten stelle einen neuen Angriffspunkt für die Krebsbehandlung dar, berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“.

Gliome sind die häufigsten und bösartigsten Hirntumoren bei Erwachsenen. In Deutschland erkranken jährlich ca. 4.500 Menschen an einem Gliom. Etwa 75 Prozent davon gelten als besonders aggressiv. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt acht Monate bis zwei Jahre. Standardtherapie ist die möglichst vollständige Entfernung des Tumors gefolgt von einer Strahlenbehandlung, meist in Kombination mit Chemotherapie. Dennoch sind die Resultate unbefriedigend, da der Tumor eine hohe Widerstandskraft besitzt und frühzeitig nachwächst. Neue Behandlungsansätze werden daher dringend benötigt.

Tumore wachsen stärker

Die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums sind bei ihren Arbeiten an Zellen von Krebspatienten sowie im Mausmodell zusammen mit Kollegen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig auf die Spur des Moleküls Kynurenin gestoßen.

Es entsteht, wenn im Körper die Aminosäure Tryptophan – ein Bestandteil von Eiweißen, die mit der Nahrung aufgenommen werden – abgebaut wird. „Wir konnten in Krebszellen von Gliom-Patienten, bei denen der Tumor besonders aggressiv ist, verstärkt Kynurenin nachweisen“, erklärt Professor Michael Platten. Aber auch bei anderen Krebsarten, wie beispielsweise Blasen-, Darm-, oder Lungenkrebs, scheint nach den neuen Forschungsergebnissen dieser Zusammenhang zu bestehen.

Kynurenin aktiviert Dioxinrezeptor

Was die Forscher noch mehr erstaunte: Kynurenin aktiviert den so genannten Dioxinrezeptor. Dies führt wiederum zu einer Kette von Reaktionen, die schließlich das Tumorwachstum fördern und das Immunsystem schwächen. Bislang war lediglich bekannt, dass der Dioxinrezeptor, wissenschaftlich auch Arylhydrokarbonrezeptor (AHR) genannt, durch Umweltgifte wie das krebserregende Dioxin aktiviert wird.

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„Warum dieser Rezeptor überhaupt in Körperzellen vorhanden ist und welchen körpereigenen Aktivierungspartner er hat, war bislang nicht bekannt“, so Christiane Opitz, Erstautorin der Forschungsarbeit. Aber: „Kynurenin scheint ganz ähnliche Auswirkungen zu haben wie Dioxin, nur dass es vom Körper selbst gebildet wird“, erläutert Platten.

Und noch ein weiteres Novum können die Forscher präsentieren: Der Abbau der Aminosäure Tryptophan erfolgte durch einen Eiweißstoff, ein so genanntes Enzym, den die Wissenschaftler bislang vor allem in Leberzellen entdeckt hatten. „Dass das Enzym mit dem Namen Tryptophan-Dioxygenase, kurz TDO, auch in Krebszellen und verstärkt in besonders aggressiven Tumoren aktiv ist, hat uns überrascht.“

Stoffwechselweg gezielt blockieren

Der neu entdeckte Stoffwechselweg stellt einen möglichen Angriffspunkt für die Krebstherapie dar. Ziel ist es, das Tumorwachstum zu hemmen und das Immunsystem zu stärken. „Wir werden nach Substanzen suchen, die diesen Stoffwechselweg gezielt blockieren und sich als mögliche Tumormedikamente eignen“, blickt Professor Wolfgang Wick in die Zukunft. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature10491)

(Universitätsklinikum Heidelberg, 07.10.2011 – DLO)

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