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Evolution

Schnecken und Muscheln sind Geschwister

Wissenschaftler erzeugen einmaligen Datensatz zur Rekonstruktion der Stammesgeschichte von Mollusken

Theodoxus fluviatilis (Neritae), eine kleine Süßwasserschnecke (ca. 0,5 cm) aus dem Rhein bei Mainz. © Christof Kühne / Universität Mainz, Institut für Zoologie

Schnecken, Muscheln und Tintenfische haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Weichtieren, auch Mollusken genannt. Ein internationales Wissenschaftler-Team hat jetzt in einer umfassenden molekularphylogenetischen Studie die Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Weichtiere erstmals im Detail enthüllt. Eines der wichtigsten Ergebnisse: Schnecken sind am engsten mit den Muscheln verwandt und nicht mit den Tintenfischen, wie man bisher glaubte.

Mollusken stehen im Tierreich hinsichtlich Arten- und Formenreichtum an zweiter Stelle hinter den Gliedertieren oder Arthropoden. Als Nahrungsmittel und Lieferant von Perlen und Schalen sind vor allem Muscheln, Schnecken und Tintenfische von immenser wirtschaftlicher Bedeutung, andererseits können sie als Schädlinge sowohl ökologisch als auch ökonomisch beträchtlichen Schaden anrichten. Verschiedene Arten dienen in den Neurowissenschaften als Modell, um die Funktion von Nervenzellen und Gehirn zu untersuchen. Und trotzdem ist die Entwicklung der Mollusken rätselhaft und wird seit fast 200 Jahren kontrovers diskutiert.

84.000 Aminosäurepositionen auf 308 Genen erfasst

Forscher der Auburn University, der University of Bergen, der University of Florida und der Universität Mainz (JGU) haben nun einen einzigartigen Datensatz zusammengetragen, der 84.000 Aminosäurepositionen auf 308 Genen von 49 Molluskenarten erfasst. „Es ist das erste Mal überhaupt, dass ein so großer molekularer Datensatz erzeugt wurde, um die Stammesgeschichte der Weichtiere von Grund auf zu klären, nachdem schon so lange viele unterschiedliche Hypothesen über die Verwandtschaftsverhältnisse kursieren“, erläutert Professor Bernhard Lieb vom Institut für Zoologie der JGU.

Untersuchungen bestätigen alte Hypothese

Zusammen mit seinen Kollegen hat er essenzielle Daten zu den sogenannten Solenogastren und Caudofoveaten, also kleinen, ursprünglichen Wurmmollusken, den Scaphopoda oder Kahnfüßern sowie einigen Schneckenarten geliefert, zu denen bisher keine genetischen Analysen vorlagen.

Die Untersuchungen bestätigen den Wissenschaftlern zufolge eine alte Hypothese, wonach sich die Mollusken in zwei Unterstämme aufteilen: Schalenweichtiere (Conchifera) und Stachelweichtiere (Aculifera). Tintenfische gehören dabei ebenfalls zu den schalentragenden Conchifera – befinden sich also in einem Topf mit Muscheln und Schnecken. Lieb merkt dazu an, dass der Nautilus oder Perlboot als ein 450 Millionen Jahre alter Vertreter der Tintenfische noch immer eine Schale trägt, während sie bei anderen Vertretern dieser Klasse heute entweder stark reduziert oder verinnerlicht ist.

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Der Wurmmollusk Wirenia argentea (Solenogastres) aus Norwegen, eine der Arten, für die nun erstmals umfassende molekulare Daten ermittelt wurden. © Christiane Todt / Universität Bergen

Schnecken am engsten mit Muscheln verwandt

Als ein unerwartetes Ergebnis fanden die beteiligten Forscher, dass Schnecken am engsten mit den Muscheln verwandt sind, sozusagen Geschwister, entgegen der früheren Annahme, dass Schnecken und Tintenfische – die Gruppen mit dem am höchsten entwickelten Kopf und „Gehirn“ – einander nahe stehen.

„Diese Gruppierung von Schnecken und Muscheln hat bisher wenig Beachtung gefunden, obwohl sie über 95 Prozent der Mollusken-Arten ausmacht. Wir schlagen deshalb hierfür den Namen PLEISTOMOLLUSCA vor“, schreiben die Wissenschaftler in „Nature“.

Interessante Ergebnisse

Die Ergebnisse sind nach Angaben der Forscher vor allem deswegen interessant und von weiterem wissenschaftlichen Nutzen, weil bestimmte Tintenfische und die marine Schnecke Aplysia californica, auf Deutsch „Seehase“, als Labormodelle für die Erforschung von Lernen und Gedächtnis dienen.

Zudem tragen die Ergebnisse dazu bei, wichtige Fossilienfunde – Mollusken gehören zu den häufigsten und am besten erhaltenen Fossilien überhaupt – einzuordnen und eventuell neu zu bewerten und damit die frühe Entwicklung dieses Tierstammes zu verstehen. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature10382)

(Universität Mainz, 09.09.2011 – DLO)

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