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Neurobiologie

Räumliches Denken ist (auch) Erziehungssache

Gleiche Bildung schließt Leistungslücke zwischen Männern und Frauen

Dieses Puzzle mussten die Versuchspersonen so schnell wie möglich lösen © Hoffman et al. / PNAS

Dass Männer häufig besser räumlich denken können, verdanken sie möglicherweise doch mehr ihrer Erziehung als ihren Genen. Darauf deutet jetzt eine Studie US-amerikanischer Forscher hin. Sie hatten das räumliche Vorstellungsvermögen bei knapp 1.300 Frauen und Männern zweier eng verwandter indischer Stämme miteinander verglichen. Der entscheidende Unterschied dabei: in einem Stamm herrscht ein Patriarchat, im anderen haben die Frauen das Sagen.

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler 1.279 Angehörige zweier Volksstämme in Nordindien, den Khasi und den Karbi, rekrutiert. Beide Gruppen leben primär vom Reisanbau und sind genetisch eng miteinander verwandt, wie eine Genanalyse zeigte. Kulturell gibt es jedoch zahlreiche Unterschiede: Bei den Karbi sind Besitz und Macht in der Hand der Männer. Jeweils der älteste Sohn erbt das Land der Eltern, Frauen leben in den Häusern ihrer Männer, besitzen selbst aber kaum etwas. Bei der von Frauen geprägten Kultur der Khasi erbt dagegen jeweils die jüngste Tochter einer Familie den Besitz. „Männliches Eigentum ist in diesen Dörfern streng verboten“, berichten die Forscher.

„In der männerdominierten Kultur benötigten die Männer 36,4 Prozent weniger Zeit für den Test als die Frauen“, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Science“. In der matriarchalen Gesellschaft schnitten dagegen beide Geschlechter gleich gut ab. „Diese Ergebnisse zeigen, dass die Umwelt eine wichtige Rolle für die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim räumlichen Denken spielt“, schreiben die Wissenschaftler um Moshe Hoffman von der University of California in San Diego.

Ein entscheidender Faktor sei dabei möglichweise die Bildung, konstatieren die Forscher. „Unsere Daten zeigen, dass die Zeit in Schule und Ausbildung bei Männern und Frauen im matriarchalen Stamm gleich lang war“, berichten sie. Im patriarchalen Stamm waren die Männer dagegen im Durchschnitt 3,67 Jahre länger ausgebildet als die Frauen. Je besser die Bildung einer Versuchsperson in beiden Stämmen gewesen sei, desto besser habe sie auch bei den Einzeltests abgeschnitten, schreiben Hoffman und seine Kollegen. Ein Jahr mehr an Bildung habe zu einer Verringerung der benötigten Lösungszeit um 4,3 Prozent geführt.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass gleiche Bildungschancen in dieser Frage einen wichtigen Unterschied bedeuten könnten“, sagen die Forscher. Das sei zwar nicht der einzige Faktor, die Studie belege aber, dass die Umwelt eine Rolle für Unterschiede zwischen Männern und Frauen spiele.

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Vierteiliges Pferdepuzzle als Test

Die Forscher testeten das räumliche Vorstellungsvermögen der Freiwilligen mit einem Puzzle: Das Bild eines Pferdes war in vier Stücke zerteilt worden und sollte so schnell wie möglich wieder zur vollständigen Figur zusammengesetzt werden. Als Anreiz stellten die Wissenschaftler denjenigen eine Belohnung von 20 Rupien in Aussicht, die dieses Puzzle in weniger als 30 Sekunden lösen konnten.

Bei den männlich geprägten Karbi lösten die Männer das Puzzle im Durchschnitt in 42,3 Sekunden, die Frauen in 57,2. Bei den Khasi lösten beide Geschlechter das Puzzle etwa gleich schnell: Männer benötigten 32,1 , Frauen 35,4 Sekunden. Damit hätten die Männer in der patriarchalen Gesellschaft der Karbi nicht besser abgeschnitten als die Frauen bei den Khasi, konstatieren die Forscher.

Neben der Bildung, deren Einfluss die Wissenschaftler mit ungefähr einem Drittel beziffern, könnten auch die Besitz- und Machtverhältnisse innerhalb der Familien eine Rolle spielen, vermuten die Forscher. Das habe sich bei Vergleichen innerhalb der Karbi gezeigt. Dort sei der Abstand zwischen den Ergebnissen der Männern und Frauen geringer gewesen, wenn diese aus Familien stammten, in denen auch Frauen Anteil am Familieneigentum besaßen. (Proceedings of the National Academy of Science, 2011; DOI:10.1073/pnas.1015182108)

(University of California in San Diego, 01.09.2011 – NPO)

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