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Astronomie

Forscher simulieren Geburt der Milchstraße

Erstmals realitätsgetreues Abbild unserer Heimatgalaxie gelungen

Ein Bild der simulierten Galaxie mit Gasen (rot) und Sternen (blau). Rechts: Ein Falschfarben-Bild der Galaxie M74, Gase (rot) und Sterne (blau). Die aus Gasen bestehenden Spiralarme sind in der simulierten und in der echten Galaxie deutlich zu erkennen. © Universität Zürich

Seit bald zwanzig Jahren versuchen Astrophysiker, die Entstehung von Spiralgalaxien wie unserer Milchstraße realistisch nachzubilden. Jetzt haben sie die weltweit erste wirklichkeitsgetreue Simulation zur Geburt unserer Heimatgalaxie vorgelegt. Die neuen Resultate in der Fachzeitschrift „Astrophysical Journal“ zeigen beispielsweise, dass es auch am äußersten Rand der Milchstraße Sterne geben muss.

Astrophysikalische Simulationen haben zum Ziel, die Wirklichkeit unter Berücksichtigung der physikalischen Gesetze und Prozesse abzubilden. Astronomische Himmelsbeobachtungen und astrophysikalische Simulation müssen sich exakt entsprechen. Ein komplexes System wie die Entstehung der Milchstraße wirklichkeitsgetreu simulieren zu können, bildet den letzten Nachweis, dass die zugrunde liegenden Theorien der Astrophysik stimmen.

Alle bisherigen Versuche, die Entstehung von Spiralgalaxien zu simulieren, scheiterten an einem von zwei Punkten: Entweder wiesen diese im Zentrum zu viele Sterne auf oder aber die gesamte Sternmasse war um ein Vielfaches zu groß.

Erste wirklichkeitsgetreue Simulation

Ein Forscherteam um Lucio Mayer von der Universität Zürich (UZH) und Piero Madau von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz präsentiert nun jedoch die erste wirklichkeitsgetreue Simulation zur Entstehung der Milchstraße. Javiera Guedes und Simone Callegari, die in Santa Cruz bzw. an der UZH promovieren, führten die Simulation aus und analysierten die Daten.

Für ihre Arbeit entwickelten die Wissenschaftler eine höchst komplexe Simulation, bei der sich eine der Milchstraße ähnliche Spiralgalaxie ohne weiteres Zutun aus sich selbst entwickelt. Die Simulation – wegen der jahrzehntelangen Debatten um die Entstehung von Spiralgalaxien nach Eris, der griechischen Göttin der Zwietracht, benannt – gestattet im Zeitraffer einen Einblick in nahezu die gesamte Entstehungsgeschichte einer Spiralgalaxie. Ihren Anfang nimmt sie weniger als eine Million Jahre nach dem Urknall.

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„Unser Resultat beweist, dass sich auf Basis der Grundprinzipien des kalte-Dunkle-Materie-Paradigmas und der physikalischen Gesetze von Gravitation, Fluiddynamik und Strahlenphysik eine wirklichkeitsgetreue Spiralgalaxie bilden lässt“, erläutert Mayer die Simulation.

Oben: Seitenansicht der simulierten Galaxie mit dem von den simulierten Sternen emittierten Licht. Die Galaxie besteht aus einer dünnen Scheibe von Sternen und einem helleren, schmalen Buckel im Zentrum. Unten: Seitenansicht der realen Milchstraße im Infrarotspektrum, in welchem Sterne das meiste ihres Lichtes emittieren. Unser Sonnensystem liegt im inneren der Scheibe. © Two Micron All Sky Survey Projekt (2MASS), University of Massachusetts und Infrared Processing and Analysis Center/California Institute of Technology

Sterne entstehen im Bereich riesiger Gaswolkenkomplexe

Sie zeigt weiter, dass in einem Gebilde, das sich zu einer Spiralgalaxie entwickeln soll, die Sterne in den Bereichen mit riesigen aufgelösten Gaswolkenkomplexen entstehen müssen. In diesen kalten molekularen Riesenwolken weisen die Gase extrem hohe Dichten auf. Die Sternbildung und Verteilung erfolgt dort nicht gleichmäßig, sondern klumpig und in Haufen. Dies wiederum führt den Astrophysikern zufolge zu einer wesentlich größeren Erhitzung durch lokale Supernova-Explosionen. Durch diese massive Erhitzung wird unter hoher Rotverschiebung sichtbare Standardmaterie ausgeschleudert. Das verhindert die Bildung einer gewölbten Scheibe im Zentrum der Galaxie.

Das Ausschleudern von baryonischer Materie, wie die sichtbare Standardmaterie auch genannt wird, reduziert zudem die Gesamtmasse an vorhandenem Gas im Zentrum. Dies führt nach Angaben der Forscher dazu, dass die richtige Sternmasse gebildet wird, wie sie auch in der Milchstraße zu beobachten ist. Am Ende der Simulation entsteht eine schmale, gekrümmte Scheibe, die den astronomischen Beobachtungen an unserer Heimatgalaxie in Bezug auf die Verhältnisse von Masse, Drehimpuls und Rotationsgeschwindigkeit völlig entspricht.

Astronomische Rechnerleistung

Für die Berechnungen wurde ein Modell weiterentwickelt, das Mayer und seine Kollegen im Zusammenhang mit der Simulation der Entstehung scheibenförmiger Zwerggalaxien erarbeitet hatten. Das hoch auflösende Modell simuliert die Entstehung einer Galaxie mit 790 Milliarden Sonnenmassen und umfasst 18,6 Millionen Partikel, aus denen sich Gase, Dunkle Materie und Sterne bilden.

Die hohe Auflösung der numerischen Simulationen bildet die Voraussetzung für die bahnbrechenden neuen Erkenntnisse. Für die Berechnungen kamen die Hochleistungs-Supercomputer Cray XT5 „Monte Rosa“ am Swiss National Supercomputing Centre CSCS der ETHZ und Pleiades der NASA Advanced Supercomputer Division zum Einsatz. Ein regulärer PC hätte für die Berechnungen 570 Jahre benötigt.

Frühere Ergebnisse bestätigt

Die neue Simulation bestätigt die Mayers Resultate zur Entstehung von scheibenförmigen Zwerggalaxien und zeigt, dass das Modell – im Gegensatz zu allen bisherigen Ansätzen – sowohl kleine als auch sehr große Galaxien wirklichkeitsgetreu abbilden kann. Weiter kann nach Angaben der Wissenschaftler aus der Simulation abgeleitet werden, dass Protogalaxien mit einer großen, aus Gasen und Sternen bestehenden Scheibe im Zentrum bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall und damit lange vor der Bildung unserer heutigen Galaxien entstanden sind.

Aufgrund der Simulation ist, so die Forscher, auch das Verhältnis von „kalter-Dunkler- Materie“ (CDM) und Standardmaterie in Spiralgalaxien zu korrigieren. Um die richtige Gesamtsternmasse im Endstadium der Galaxie zu erhalten – bis jetzt eine der größten Schwierigkeiten – ist es zwingend, dass Standardmaterie durch Supernova-Winde aus dem Zentrum ausgeschleudert wird. Am äußersten Rand des CDM-Rings einer Spiralgalaxie ist anhand der Simulation zu erwarten, dass das Verhältnis Standardmaterie zu CDM nicht wie bisher angenommen 1:6, sondern 1:9 beträgt.

Sterne und Gase am äußersten Rand der Galaxie

Die Simulation sagt zudem für den sechshunderttausend Lichtjahre entfernten äußersten Halo der Milchstraße Sterne und Gase voraus. Erst die nächste Generation an Raumsonden und Teleskopen werde in der Lage sein, diese nur sehr schwach leuchtenden Sterne zu detektieren, meinen die Forscher.

Darüberhinaus macht die Simulation Voraussagen in Bezug auf die radiale Verteilung von heißen Gasen um die zentrale Scheibe der Galaxie. Zukünftige Teleskope, die Röntgenstrahlen messen können, wie sie beispielsweise die IXO-Mission der European Space Agency ESA plant, werden diese Vorhersage prüfen. (The Astrophysical Journal, 2011)

(Universität Zürich, 26.08.2011 – DLO)

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