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Neurobiologie

Gehirnzellen auf Diät verdauen sich selbst

Neu entdeckter Prozess im Hypothalamus erzeugt Hungersignal

US-amerikanische Forscher haben eine ungewöhnliche Erklärung dafür entdeckt, warum Diäten so schwer durchzuhalten sind: Wenn wir nichts essen, beginnen Gehirnzellen im Hungerzentrum damit, Teile ihrer Selbst zu verdauen. Dieser Akt des Selbst-Kannibalismus löse ein Hungersignal aus, das uns zum Essen drängt, sagen die Wissenschaftler im Fachmagazin „Cell Metabolism“.

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Für ihre Studie hatten sie die zellulären Vorgänge in Gehirnen von Mäusen untersucht, nachdem diese 12 Stunden gehungert hatten. Einige Zellen des Hypothalamus – des Kontrollzentrums für unwillkürliche Körperprozesse – reagierten auf die Hungerkur mit einer Selbstverdauung. Bekannt ist diese so genannte Autophagie unter anderem von Muskelzellen: Hungert der Mensch zu lange, schwinden die Muskeln. Der Körper baut Teile der Muskelzellen ab, um daraus die dringend benötigte Energie zu gewinnen. Das Gehirn galt jedoch nach bisherigen Erkenntnissen als resistent gegenüber dieser Selbstverdauung.

„Unsere Studie demonstriert die einzigartige Natur der Neuronen im Hypothalamus. Nur sie sind dazu fähig, mit einer verstärkten Autophagie auf Hungern zu reagieren“, sagt Studienleiter Rajat Singh vom Albert Einstein College of Medicine in New York City. Dieser Prozess finde vermutlich in ähnlicher Form auch beim Menschen statt. Nach Ansicht der Forscher eröffnet dies möglicherweise eine Ansatzstelle zur Bekämpfung hartnäckigen Übergewichts. In ihren Versuchen hatten Mäuse, bei denen die Autophagie blockiert wurde, weniger Hunger und nahmen deutlich ab. Eine ähnliche Beeinflussung des Hungersignals beim Menschen halten sie grundsätzlich für denkbar.

Fettsäuren als Auslöser für Selbstverdauung

Der Auslöser für die Selbstverdauung der Gehirnzellen seien wahrscheinlich freie Fettsäuren, mutmaßen die Forscher. Diese werden in den Blutkreislauf abgegeben, wenn der Körper die Fettreserven angreift. Sie zirkulieren aber auch vermehrt nach dem Genuss fettreicher Nahrung.

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In einem Laborexperiment belegen Singh und seine Kollegen, dass Hypothalamuszellen in Kultur solche freien Fettsäuren in ihr Inneres aufnehmen. Dort angekommen, lösen die Fettsäuren den Abbau einiger Zellbestandteile aus. Diese Autophagie verändert die Zellchemie und fördert die Produktion eines chemischen Hungersignals.

Wenn ein Mensch ständig sehr fettes Essen zu sich nimmt, könnte dieser Mechanismus einen wahren Teufelskreis von Überessen und verändertem Energiehaushalt in Gang setzen, sagt Singh.

Kein Hungersignal nach Blockade der Autophagie

In einem weiteren Versuch blockierten die Forscher mit einem Hemmstoff die Selbstverdauung der Hypothalamuszellen. Dies unterband auch die vermehrte Produktion des Hungerbotenstoffs. Dafür sei die Konzentration eines anderen Hormons erhöht gewesen.

Diese Hormonverschiebungen machten sich im Stoffwechsel der Versuchsmäuse deutlich bemerkbar: „Das resultierte in einer verringerten Nahrungsaufnahme nach dem Fasten, einem verringerten Körpergewicht und weniger Gesamtfett“, berichten die Forscher.

Ähnliche Verschiebungen könnten auch für den verringerten Appetit vieler alter Menschen verantwortlich sein, mutmaßen sie. „Wir haben bereits einige vorläufige Belege dafür, dass es auch mit dem Alter bei der Autophagie Änderungen gibt“, sagt Singh. (Cell Metabolism, 2011; DOI:10.1016/j.cmet.2011.06.008)

(Cell Metabolism / Albert Einstein College of Medicine / dapd, 03.08.2011 – NPO)

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