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Bildung

Ideen brauchen zehn Prozent „Gläubige“

Modellsimulationen zeigen einen vom Typ des sozialen Netzwerks unabhängigen Schwellenwert

Meinungsbildung in einer Gesellschaft © Rensselaer Polytechnic Institute

Zehn Prozent ist die entscheidende Schwelle, wenn es um die Meinungsbildung in einer Gesellschaft geht. Das haben US-amerikanische Forscher anhand von Computermodellen herausgefunden. Die Ansicht einer Minderheit setzt sich demnach immer dann durch, wenn mindestens ein Zehntel der Gesamtpopulation sie aktiv vertritt.

„Wenn der Anteil der aktiv Mittragenden unter zehn Prozent liegt, gibt es keinen sichtbaren Fortschritt in der Ausbreitung der Ideen“, sagt Boleslaw Szymanski vom Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York. Wenn der Anteil aber über zehn Prozent wachse, breite sich eine Idee aus wie ein Feuer. Ein Beispiel dafür seien die Ereignisse in Tunesien und Ägypten. Dort habe es nur wenige Wochen gebraucht, bis die seit Jahrzehnten herrschenden Regierungen gestürzt wurden.

Die Wissenschaftler simulierten in ihren Modellen die Meinungsbildung in ganz unterschiedlich dicht verknüpften sozialen Netzwerken. Wie sie im Fachmagazin „Physical Review E“ berichten, sei es aber egal, wo und wie eine Idee aufkomme, bei allen Modellen blieb der Schwellenwert bei rund zehn Prozent. Wichtig sei diese Erkenntnis auch für eine ganze Reihe von Situationen, in denen Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse. „Beispielsweise wenn es wichtig ist, die Einwohner einer Stadt zur Evakuierung zu bewegen, weil ein Hurrikan kommt. Oder wenn wichtige Informationen zur Vorbeugung einer Infektionskrankheit verbreitet werden müssen“, sagen die Forscher.

Wann setzt sich eine Minderheit durch?

Ob Relativitätstheorie, Atomausstieg oder Demokratie: Im Laufe der Geschichte haben sich viele Ideen und Meinungen von anfangs ignorierten oder sogar belächelten Außenseiterpositionen zur Mehrheitsansicht entwickelt. Andere dagegen schafften den Durchbruch nie und sind heute vergessen. Was aber bestimmt, ob sich eine Minderheitenmeinung durchsetzt?

Um das herauszufinden, entwickelten die Forscher des Rensselaer Polytechnic Institute mehrere Modelle sozialer Netzwerke. In einem war jede Person mit nur einer weiteren verbunden, in einem anderen waren alle Personen untereinander sehr engmaschig vernetzt. Das dritte Modell ging von einigen besonders gut vernetzten „Meinungsführern“ inmitten der Masse aus.

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„Bekehrung“ nach zwei Kontakten

In jedes Modell führten die Forscher einige „Andersgläubige“ ein, die jeweils die ihnen am nächsten stehenden Personen zu werben versuchten. Als Maßstab für eine erfolgreiche „Bekehrung“ galten mindestens zwei Kontakte einer Person mit den Abweichlern. „Normalerweise mögen Menschen es nicht, eine unpopuläre Meinung zu haben und versuchen daher, lokal zu einem Konsens zu kommen. Diese Dynamik haben wir in unsere Modelle übernommen“, sagt Rensselaer-Forscher Sameet Sreenivasan.

Nur bei einem anfänglichen Anteil von zehn Prozent schafften es die „Andersgläubigen“ in den Modellen, ihre Ideen über den lokalen Bereich hinaus zu verbreiten, wie die Wissenschaftler berichten: „Wenn die Vertreter der Veränderung mehr und mehr Personen überzeugen, verändert sich die Situation. Die Menschen beginnen, zuerst ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen und dann die neuen Ideen anzunehmen und selbst weiter zu verbreiten.“

Als nächsten Schritt wollen die Forscher nun untersuchen, ob und wie sich der Schwellenwert ändert, wenn sich zwei opponierende Meinungen in einer polarisierten Gesellschaft gegenüberstehen. (Physical Review E, 2011; DOI: 10.1103/PhysRevE.84.011130)

(Physical Review E / Rensselaer Polytechnic Institute / dapd, 28.07.2011 – NPO)

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