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Evolution

Neue Ordnung von Ur-Insekten entdeckt

Kreidezeitliche Chimärenflügler werfen Licht auf Ursprung der Insektenflügel

Fossil eines erwachsenen Chimärenflüglers (Mickoleitia longimanus) © SMNS, Bechly/Staniczek

Wissenschaftler haben eine neue, bisher unbekannte Insektenordnung entdeckt – etwas, was nur sehr selten vorkommt. Die „Chimärenflügler“ getauften Tiere lebten vor 120 Millionen Jahren in Südamerika und wurden erst jetzt anhand neuer Funde von fossilen Adultstadien eindeutig identifiziert. Die in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Insect Systematics & Evolution“ vorgestellten Insekten geben wertvolle Einblicke in die Evolution der Flügel bei Insekten.

Fossilien von Chimärenflügler-Larven waren bereits früher entdeckt, aber falsch zugeordnet worden. Erst mit dem Fund ausgewachsener Exemplare und besser erhaltener Larven gelang es Forschern vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart die stammesgeschichtliche Stellung dieser Tiere zu klären. Die Chimärenflügler, fachwissenschaftlich „Coxoplectoptera“, sind demnach Verwandte der heutigen Eintagsfliegen, unterscheiden sich in Körperbau und Lebensweise jedoch von allen anderen bekannten Insektenen. Schon zu ihren Lebzeiten waren die Tiere letzte Überbleibsel primitiver Fluginsekten aus dem Erdaltertum.

Flügel einer Eintagsfliege und Raubbeine einer Gottesanbeterin

Die Chimärenflügler besaßen die Flügel einer Eintagsfliege, Brust und Flügelform einer Libelle und die Raubbeine einer Gottesanbeterin. Die Larven glichen dagegen eher Flusskrebsen. Da sie bereits zuvor bekannt waren, aber gut erhaltene Exemplare fehlten, gab deren Lebensweise zunächst Rätsel auf. Jetzt erst ist es den Forschern gelungen, durch die Anwendung von mikropräparatorischen Techniken feinste Details der Anatomie aufzudecken. Sie sprechen eindeutig für eine räuberische Lebensweise.

Fossile Larve eines Chimärenflüglers (Mickoleitia sp.) © SMNS, Bechly/Staniczek

So besaßen die Jugendstadien der Coxoplectoptera als Raubbeine entwickelte Vorderbeine und zangenartige Kiefer. Damit könnten sie ähnlich wie heute Libellenlarven andere Larven und kleine Wasserorganismen gejagt haben. Die Körperpanzerung, die seitliche Abplattung des Körpers und die gedrungenen Mittel- und Hinterbeine deuten aber auf eine grabende Lebensweise hin. Demnach jagten die Larven vermutlich nicht frei im Wasser schwimmend, sondern lauerten halb eingegraben im Gewässergrund auf ihre Beute.

Flügelbildung aus Rückenplatten

Schon seit längerem wird kontrovers diskutiert, wie die ersten Insektenflügel entstanden. Lange Zeit nahmen Wissenschaftler an, dass sich die Flügel aus starren Auswüchsen von Rückenschildern der Brustsegmente entwickelten. Moderne entwicklungsgenetische Studien deuten dagegen auf eine Entstehung aus beweglichen Beinanhängen krebsartiger Vorfahren hin. Jetzt liefern die Larven der Coxoplectoptera entscheidende Hinweise darauf, dass beide Theorien teilweise zutreffen.

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Ihre Kiemen am Hinterleib entsprechen in zahlreichen Details den Flügelanlagen moderner Insekten. Daher gehen die Forscher davon aus, dass beide Organe den gleichen evolutionären Ursprung besitzen. Bei den Chimärenflüglern setzen die Kiemen an den Rückenschildern an. Die Stuttgarter Insektenforscher um Arnold Staniczek und Günter Bechly vermuten daher, dass auch die Flügel ihren Ursprung in Rückenplatten haben. Die Bein-Gene seien dagegen lediglich für die Steuerung der Flügelentwicklung rekrutiert worden. Die Entdeckung der Coxoplectoptera trägt so zu einem besseren Verständnis der Evolution der Fluginsekten bei.

(Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, 20.07.2011 – NPO)

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