Die „Sprachzentren“ in der linken Gehirnhälfte des Menschen sprechen und verstehen nicht nur Sprache, sondern sie sind auch für die Orientierung unserer Aufmerksamkeit im Raum zuständig. Das haben jetzt Wissenschaftler in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Brain“ gezeigt. Unsere sogenannten Sprachzentren sind also vielmehr Sprach- und gleichzeitig Aufmerksamkeitszentren.
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Aufmerksamkeit ist bei Säugetieren, zum Beispiel auch beim Affen in beiden Gehirnhälften repräsentiert. Anders als bei den Affen bildete sich beim Menschen eine Sprachfunktion. Die bisherige Annahme der Wissenschaft: Durch die Entwicklung der Sprache beim Menschen in der linken Gehirnhälfte wurden die ehemals dort angesiedelten Funktionen – wie zum Beispiel die Aufmerksamkeit – verdrängt und in die rechte Gehirnhälfte verschoben.
Neue und alte Funktionen
Die Wissenschaftler um Julia Suchan und Professor Hans-Otto Karnath von der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen und dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) konnten nun zeigen, dass dies keineswegs so ist. Zwar hat die linke Gehirnhälfte in der Entwicklung vom Affen zum Menschen eine neue Funktion – die Sprache – erhalten, sie hat aber ihre alte Funktion – die Aufmerksamkeit – keineswegs ganz verloren.
Offensichtlich, so die Forscher, ist unser Gehirn in der Lage, beide Funktionen in derselben Gehirnhälfte, ja sogar in denselben Regionen parallel zu verarbeiten.
400 Schlaganfall-Patienten untersucht
Die Tübinger Wissenschaftler untersuchten in ihrer neuen Studie rund 400 Menschen, die einen Schlaganfall der linken Gehirnhälfte erlitten hatten, um herauszufinden, ob diese neben den für diese Gehirnhälfte bekannten Sprachstörungen auch an Störungen der Raumorientierung litten. Neben Tests zur Untersuchung der räumlichen Aufmerksamkeit und Sprache machten die Forscher hochauflösende Magnetresonanztomographie-Aufnahmen von den Patienten.
Dabei fanden sie heraus, dass einige Menschen tatsächlich an einer deutlichen Störung der räumlichen Orientierung nach Schädigung der linken Hemisphäre litten. Interessanterweise fand sich der Sitz dieser Funktion im Gehirn exakt im so genannten Sprachzentrum. Alle diese Patienten mit Störungen der Raumorientierung litten den Forschern zufolge gleichzeitig auch unter Sprachstörungen.
Sprach- und Aufmerksamkeitszentren
„Wäre dies nicht der Fall, könnte man annehmen, dass die Funktionen beider Gehirnhälften bei diesen Personen einfach vertauscht sind“, so Suchan und Karnath, „also die Raumorientierung links und die Sprache rechts sitzt. Das ist aber definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil, beide Funktionen scheinen in derselben Gehirnhälfte und denselben Gehirnstrukturen verarbeitet zu werden.“ (Brain, 2011; doi: 10.1093/brain/awr120)
(Universitätsklinikum Tübingen, 14.06.2011 – DLO)