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Botanik

Origami auf der Samenkapsel

Öffnungsmechanismus von Samenbehältern der Mittagsblumen enthüllt

Die Samenkapsel der Mittagsblume D. nakurense öffnet sich im richtigen Moment. Solange Trockenheit herrscht, verschließen fünf Deckel die Kapsel (links). Sobald es regnet, klappen die fünf Deckel der Kapsel auf (rechts). Sie werden von einem quellbaren Gewebe aufgedrückt, das sich mit Wasser vollsaugt. © Matt Harrington / MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Manche Pflanzen verbreiten ihre Samen geradezu kunstvoll: Die Samenkapseln der Mittagsblume Delosperma nakurense etwa falten Deckel über den Samenkammern in der Art eines beweglichen Origamis auf, sobald sie von Regen benetzt werden. Das haben jetzt deutsche Forscher in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ herausgefunden.

Die Deckel klappen demnach auf, weil Zellen auf ihrer Innenseite Wasser aufnehmen und ihre Struktur ändern. So stellt die Pflanze, die in sehr trockenen Gegenden wächst, sicher, dass ihre Saat gute Chancen hat aufzugehen. Die Wissenschaftler möchten nach diesem Vorbild nun Materialien entwickeln, die sich bewegen, wenn sie feucht werden oder wenn sich ihre Temperatur ändert.

Komplexe Bewegung identifiziert

Um sich zu regen, brauchen einige Pflanzen keine lebendigen Zellen, die mit ihrem Stoffwechsel eine Bewegung antreiben. Grannen krümmen sich, wenn sie feucht werden, Zapfen öffnen sich, wenn sie an der Luft trocknen. „Doch bei den Samenkapseln Delosperma nakurense haben wir eine ausgesprochen komplexe Bewegung von nicht mehr lebenden Pflanzenmaterial beobachtet“, sagt Ingo Burgert. Der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung hatte gemeinsam mit Christoph Neinhuis von der Technischen Universität (TU) Dresden die Idee, den Öffnungsmechanismus der Samenkapseln von D. nakurense zu erforschen.

Das Forscherteam hat herausgefunden, dass sich die Deckel der Samenkapseln an einer Art Gelenk auffalten, wenn sie feucht werden. Umgekehrt schließen sie sich wieder, sobald sie trocknen. Da sich dabei auch die Krümmung der Klappen verändert, decken diese die Samenkammern bei Trockenheit dicht ab. Die Krümmung verhindert zudem, dass sich ein Verschluss unbeabsichtigt öffnet.

Koordinierter Faltmechanismus

„Es handelt sich also um einen koordinierten Faltmechanismus in zwei Richtungen, wie man ihn von beweglichen Origamis kennt“, sagt Max-Planck-Forscher Matthew Harrington, der diese Bewegung gemeinsam mit seinen Kollegen im Detail analysiert hat. Demnach verformen sich die fünf Deckel der Samenkapsel aufgrund ihrer raffinierten Struktur und einer geschickten Kombination der Eigenschaften verschiedener biologischer Materialien.

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Die Deckel besitzen eine dreieckige Form, so dass die Samenkapsel in geöffnetem Zustand an einen fünfzackigen Stern erinnert. Sie tragen den Wissenschaftlern zufolge ein stark quellbares Gewebe und zwar auf der Seite, die im geschlossenen Zustand nach unten weist und im offenen nach oben. Das Gewebe teilt sich in zwei Hälften und läuft auf den offenen Deckeln – wenn die Kapsel also feucht ist – von innen nach außen. Die beiden Hälften schließen sich dann zu einem schmalen Grat. Bei Trockenheit trennt ein Spalt die beiden Hälften des Gewebes. In diesen Spalten befinden sich im trockenen Zustand die Trennwände der fünf Samenkammern, so dass die Kammern nach Angaben der Forscher dicht verschlossen sind.

Die Wabenstruktur, die sich mit Wasser vollgesogen und bevorzugt in einer Richtung ausgedehnt hat. Blau haben die Forscher die quellbare Zellulose eingefärbt. Rot markiert das Lignin in den Zellwänden. © Matt Harrington / MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Quellende Zellulose öffnet die Samenkapsel

Wenn der Deckel aufklappt, verformt er sich vor allem dort, wo er an der Kapsel ansetzt. „Dieser Abschnitt wirkt wie ein Gelenk“, sagt Harrington. Wie sich der Verschluss öffnet, offenbarte den Forschern aber erst ein sehr genauer Blick auf die Struktur des quellbaren Gewebes. Dieses besteht nämlich aus oben offenen, mehr oder weniger sechseckigen Zellen, die eine Wabenstruktur bilden.

Der Öffnungsmechanismus funktioniert aber nur, weil die Zellen aus zwei verschiedenen Materialien aufgebaut sind, wie die Wissenschaftler in spektroskopischen Untersuchungen festgestellt haben: Die Zellwände bestehen im Wesentlichen aus Zellulose und Lignin, einem Hauptbestandteil von Holz. Lignin nimmt wenig Wasser auf. Im Zellinneren befindet sich dagegen Zellulose ohne Lignin, die viel Wasser aufsaugt und dabei stark quillt.

Damit ist die Maschine komplett, die quasi mit Wasserkraft ein Origami faltet: „Wenn die Zellulose sich ausdehnt, weitet sie die sechseckigen Zellen vor allem in Längsrichtung des Deckels“, erklärt Harrington. So dehnt sich die Wabenstruktur in dieser Richtung aus und drückt dabei den Deckel auf. Umgekehrt schließt sich die Klappe wieder, wenn die Zellulose trocknet und die Wabenstruktur sich zusammenzieht.

Viele Anwendungsmöglichkeiten

„Der Mechanismus ist für technische Anwendungen interessant, weil die Energie für die gerichtete Bewegung bereits im Material gespeichert ist“, erklärt Max-Planck-Forscher Peter Fratzl. Fratzl und seine Kollegen wollen dieses Konzept nun in eine Technik übertragen, die etwa in der Biomedizin oder der Architektur Anwendung finden könnte. Das Prinzip lässt sich zudem auf Materialien übertragen, die sich unterschiedlich stark ausdehnen oder zusammenziehen, wenn sich die Temperatur ändert. Eine Markise entfaltet sich dann irgendwann vielleicht von selbst über der Terrasse, wenn die Sonne ungemütlich heiß brennt. (Nature Communications, 2011; doi:10.1038/ncomms1336)

(Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, 14.06.2011 – DLO)

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