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Geowissen

Japan-Beben widersprach Theorien

Erste Auswertungen stoßen auf gleich mehrere Überraschungen

Der Hafen der Millionenstadt Sendai nach dem Tsunami © US Navy

Das Tohoku-Erdbeben, das am 11. März 2011 Japan traf, war nicht nur eines der stärksten Beben überhaupt, es hat auch so viele seismologische Daten geliefert wie kein Starkbeben vor ihm. Schon die ersten Auswertungen dieser Daten, jetzt in gleich drei Artikeln in „Science“ erschienen, widerlegen etablierte Annahmen über solche so genannten Megathrust-Erdbeben. Weder die Größe der Versatzzone, noch die Ursprungsorte der seismischen Wellen, noch die vor dem Beben angestaute Energiemenge entsprachen den bisherigen Erwartungen. Die Daten enthüllen auch, dass eine Zone unmittelbar südlich des Erdbebengebiets durchaus Potenzial für ein weiteres Starkbeben in sich tragen könnte.

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Als das Tohoku-Oki-Erdbeben am 11. März 2011 die Nordostküste Japans erschütterte, hatte dies Konsequenzen, die bis heute spürbar sind – nicht nur in Japan, sondern auch weltweit. Das Starkbeben der Magnitude 9 und der von ihm ausgelöste Tsunami verwüsteten weite Teile der japanischen Küste und kosteten tausende Menschen das Leben. Das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi laviert bis heute am Rande eines Super-GAU. Doch so tragisch die Folgen für das Land und die Menschen auch sind, das Tohoku-Oki-Erdbeben bietet auch die Chance, zumindest für mögliche weitere schwere Beben dieser Art in Zukunft besser gerüstet zu sein.

„Dieses Ereignis ist jetzt das am besten dokumentierte Starkbeben überhaupt“, erklärt Mark Simons, Professor für Geophysik am seismologischen Laboratorium des Caltech. Die Fülle an Daten, die vor, während und nach dem Beben gesammelt wurden, liefern nun wertvolle Hinweise über das, was bei einem so genannten Megathrust-Erdbeben geschieht. Diese Erdbeben, die zu den schwersten überhaupt gehören, entstehen, wenn die an einer Subduktionszone übereinander geschobenen Platten verhaken und sich dann die Spannung plötzlich löst. Entlang der betroffenen Verwerfungen, hier der Grenze zwischen der Pazifischen Platte und der Okhotsk-Platte, auf der der Norden Japans liegt, wird dabei der Untergrund beider Ränder stark gegeneinander versetzt.

Versatz-Zone überraschend kompakt

Gleich drei Forscherteams haben die umfangreichen Daten zu diesem Erdbeben nun ausgewertet und dabei teilweise überraschende Erkenntnisse gewonnen. Für den Seismologen Simons war eine der interessantesten Erkenntnisse aus der Datenanalyse die räumliche Kompaktheit des Ereignisses: Durch die plötzliche Spannungsentladung bewegte sich die Verwerfung auf 250 Kilometern Länge – das ist nur rund die Hälfte dessen, was man zuvor für eine Beben dieser Stärke erwartet hätte. Das Gebiet, in der mit 30 Metern oder mehr der stärkste Versatz auftrat, umfasst sogar nur 50 bis 100 Kilometer der Verwerfung.

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„Das ist etwas, was wir vorher noch nicht beobachtet haben“, so Simon. „Ich bin sicher, dass dies auch schon in der Vergangenheit geschehen ist, aber die Technologie hat sich erst in den letzten zehn bis 15 Jahren so weit entwickelt, dass wir diesen Versatz jetzt viel genauer mittels GPS und anderen Methoden messen können.“

Hochfrequente Wellen woanders als erwartet

Eine weitere signifikante Erkenntnis ist die Tatsache, dass die verschiedenen seismischen Wellen des Bebens von unterschiedlichen Bereichen der Verwerfung ausgingen. „Die hochfrequenten Wellen des Tohoku-Erdbebens wurden viel näher an der Küste gebildet, abseits des Versatz-Gebiets, in dem die niederfrequenten Wellen entstanden“, erklärt Simons Kollege Jean Paul Ampuero. Dafür gibt es zwei Gründe, so die Forscher: Zum einen finden sich die größten Spannungen und damit eine potenzielle Quelle für hochfrequente Wellen, am Rand der Verwerfungszone, nicht in ihrem Zentrum, wo das Gestein als erstes gerissen ist.

Simons vergleicht dies mit den Kräften, die beim Zerreißen eines Blatts Papier wirken: „Die größten Spannungen entstehen nicht dort, wo das Papier gerade gerissen ist, sondern da, wo es kurz davor ist zu reißen“, so Simon. „Wir haben vorher gedacht, dass die hochfrequente Energie die Ursache des Verrutschens der Verwerfung ist, aber das passt nicht zu unseren Modellen dieses Ereignisses.“ Ein anderer Faktor ist die Frage, wie die Verwerfung auf diese Spannungen reagiert: Es scheint im Falle des Tohoku-Bebens, als wenn nur die tieferen Teile der Plattengrenze durch Erzeugung hochfrequenter Wellen auf die Belastung reagierten.

Magnitude galt an diesem Ort als unmöglich

Überraschend für die Forscher ist auch die Tatsache, dass sich an dieser Stelle überhaupt ein so starkes Erdbeben ereignet hat: „Die Höhe der Spannungen, die mit diesem starken Versatz verbunden sind, liegt fast fünf bis zehn Mal höher als das, was wir normalerweise bei einem Megathrust-Erdbeben sehen”, so der Geophysiker Hiroo Kanamori, der zur Zeit des Erdbeben zufällig in Japan war. „Bisher nahm man an, dass das Gestein nahe dem Japangraben eine so große elastische Spannung gar nicht aufbauen kann.“ Warum es im Falle des Tohoku-Bebens trotzdem der Fall war, ist noch unklar.

Nach Ansicht von Kanamori könnten entweder der subduzierte Meeresboden oder aber die darüberliegende Platte ungewöhnliche Strukturen aufweisen, wie beispielsweise aufragende Höhenrücken, die ein Verhaken der beiden Platten fördern und so mehr Spannung als gewöhnlich aufbauen. „Wegen dieser lokalen Verdickung – was auch immer der genaue Grund dafür ist – waren die Pazifische Platte und die Okhotsk Platte seit langer Zeit verbunden, vermutlich 500 bis 1.000 Jahre, bevor sie dann in diesem Magnitude 9.0 Ereignis nachgaben“, Kanamori. „Detaillierte geophysikalische Studien der Meeresboden.-Strukturen könnten zukünftig klären, welche Mechanismen der lokalen Verstärkung in diesem Gebiet eine Rolle spielten.“

Südlicher Teil der Verwerfung ebenfalls gefährdet?

Insgesamt, so resümieren die Wissenschaftler, war im Vorfeld des Bebens nur sehr wenig über das Gebiet des späteren Epizentrums bekannt, da es hier auch nur begrenzte historische Daten gab. „Aber anstatt zu sagen, dass sich hier vermutlich kein Starkbeben ereignen würde, hätten wir sagen soll, dass wir es einfach nicht wissen“, erklärt Simons. Das gleiche gilt nun für ein Gebiet der Verwerfung unmittelbar südlich der jetzigen Versatzzone, wo die Plattenränder auf sehr ähnliche Weise gegeneinander verkippt sind.

„Es ist wichtig anzumerken, dass wir keineswegs dort ein Erdbeben vorhersagen. Aber wir haben keine Daten zu diesem Gebiet und daher sollte sich die Aufmerksamkeit darauf konzentrieren – vor allem auch in Anbetracht seiner Nähe zu Tokio“, betont der Seismologe. Große Bedeutung kommt seiner Ansicht nach dabei dem neuen japanischen Meeresboden-Beobachtungssystem zu, dass zukünftig mehr Aufschluss über diese Region liefern könnte. (Science, 2011; DOI: 10.1126/science.1206731)

(California Institute of Technology, 20.05.2011 – NPO)

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