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Paläontologie

CT enthüllt Riesen-Spinne im Bernstein

Erster Blick auf 44 Millionen Jahre alte Riesenkrabbenspinne in historischem Bernsteinstück

CT-Scan der Riesenkrabbenspinne Eusparassus crassipes © A. McNeal, University of Manchester

Moderne Computertomografie hat im Inneren eines dunklen Bernsteins einen überraschenden Fund zutage gefördert: Eingeschlossen in das fossile Baumharz war eine 44 Millionen Jahre alte Riesenkrabbenspinne, und damit der älteste bekannte Vertreter dieser Gruppe. Die in der Fachzeitschrift „Naturwissenschaften“ veröffentlichen Aufnahmen geben nicht nur einen einzigartigen Einblick in die Anatomie des schnellen Jägers, sie werfen auch ein wichtiges Schlaglicht auf Evolution und Vorkommen der Achtbeiner.

Über 1.000 Arten fossiler Spinnen wurden bisher beschrieben, viele davon sind in Einschlüssen von Bernstein erhalten. Eine der Erstbeschreibungen stammt aus der Sammlung von Georg Karl Berendt (1790-1850), der dafür zwei Bernsteineinschlüsse vor 150 Jahren mit einfachen mikroskopischen Methoden untersuchte. Was in den damals wohl noch transparenten Sammlungsstücken zu erkennen war, veranlasste Spinnenforscher, das Tier den Ocypeten, langbeinigen und schnellen Jägern zuzuordnen. Im Kontakt mit Licht und Sauerstoff wird Bernstein jedoch dunkel und rissig.

Schemenhaftes „Etwas“ in nachgedunkeltem Bernstein

157 Jahre nach der Erstbeschreibung stieß der Paläontologe Jason Dunlop vom Naturkundemuseum Berlin wieder auf die beiden, in grau-braunen Umschlägen aufbewahrten Objekte vor. Mehr als ein „Irgendetwas“ war mit bloßem Auge jedoch nicht zu erkennen. Selbst unter dem Mikroskop zeigten sich bei der Untersuchung durch Peter Jäger vom Frankfurter Senckenberg Forschungsinstitut nur schemenhafte Umrisse. Auch die Sichtung der Handzeichnungen und Bleistiftnotizen von Koch und Berendt ließ viele Fragen offen. Die tatsächliche Familienzugehörigkeit der Achtbeiner blieb zunächst im Dunkel des Bernsteins verborgen.

Um der wahren Natur des Einschlusses auf den Grund zu gehen, hat jetzt ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Dunlop und Jäger sowie Experten für Computertomografie das Berendt`sche Bernsteinstück mit modernster Technik untersucht. An der Universität Manchester durchleuchteten die Wissenschaftler die Proben in drei CT-Scans mit jeweils 1.200 Einzelprojektionen aus verschiedenen Positionen in Kombination mit modernen Phasenkontrastverfahren.

Eusparassus crassipes, eine fossile Riesenkrabbenspinne, konserviert in 49 Millionen Jahre altem Bernstein, unter dem Mikroskop © Jason Dunlop, MfN

Älteste bekannte Riesenkrabbenspinne

Das Ergebnis war überraschend. Die hoch aufgelösten 3D-Aufnahmen offenbaren allerwinzigste morphologische Details des fossilen Spinnenkörpers, der seinen modernen Verwandten bis aufs Haar gleicht: Die als wesentliches Differenzierungsmerkmal geltenden Kieferklauen mit verschieden großen Zähnen, die Anordnung der Augen und bis zu 500 Mikrometer vergrößert auch die Beine mit Gelenken und Klauen bis hin zu den feinsten Härchen. Die Wissenschaftler konnten damit nachweisen, dass es sich um eine Riesenkrabbenspinne (Eusparassus) handelt, die heute noch in tropischen Gegenden, Südeuropa und Zentralasien leben – und in Nordeuropa vor 49 Millionen Jahren beheimatet waren.

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Dass die vergleichsweise großen Riesenkrabbenspinnen überhaupt im fossilen Harz hängen geblieben sind, ist den Wissenschaftlern zufolge eine Besonderheit. Auch ihr Vorkommen im Bernsteinwald, einem Ökosystem mit Süßwasservorkommen, das einst das gesamte Ostseegebiet bis hin zum Ural bedeckt hat, wirft Fragen auf. „Die Nachkommen von Eusparassus finden sich heute in trockenen Gebieten wie beispielsweise rund ums Mittelmeer und in Zentralasien. Dort leben diese Spinnen unter Steinen und in weitgehend baumlosen Regionen“, erklärt Jäger. „Vielleicht müssen wir eines Tages unsere Vorstellung vom Bernsteinwald korrigieren.“

Eine heute lebende Art der Gattung Eusparassus sp. © Senckenberg Forschungsinstitut

Methode eröffnet neue Perspektiven

Neben dem wissenschaftlichen Interesse, waren die in mehrfacher Hinsicht undurchsichtigen Stücke auch Testobjekte, ob sich so stark oxidiertem Bernstein noch Informationen entlocken lassen. „Die Momentaufnahmen des Lebens, die Bernsteinfunde uns liefern, sind ja nicht nur als solche interessant“, erklärt der Berliner Arachnologe. „Wir erfahren vor allem etwas über das Vorkommen und den einstigen Lebensraum der Spinnen. Morphologische Veränderungen geben Aufschluss über ihre Evolution und so alte Funde liefern auch Anhaltspunkte für molekulargenetische Datierungen.“

„Unsere in Kombination mit dem Phasenkontrastverfahren im CT erzielten Aufnahmen zeigen nun, dass die nicht-invasive Methode sich zur Untersuchung von Bernsteinfossilien eignet. Das eröffnet uns neue und zusätzliche Perspektiven für das Puzzle des Lebens und ein besseres Verständnis der Ökosysteme“, fasst Dunlop zusammen. (Naturwissenschaften, 2011; DOI: 10.1007/s00114-011-0796-x)

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Naturkundemuseum Berlin, 17.05.2011 – NPO)

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