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Biologie

Harnstoffzyklus als Anabolikum für Kieselalgen

Stoffwechselweg als Verteilungs- und Recyclingcenter statt als Entsorgungsweg

Die im Meer lebende gefiederte Kieselalge Phaeodactylum tricornutum. © Andrew Allen, Adrian Marchetti

Bei Säugetieren dient der Harnstoffzyklus dazu, überschüssigen Stickstoff loszuwerden. Bei Kieselalgen dagegen ist er ein echter Turbbobooster: Er hilft ihnen dabei, auf ein gesteigertes Nährstoffangebot sofort mit erhöhter Stoffwechselrate und Wachstum zu reagieren. Das zeigt eine jetzt in „Nature“ veröffentlichte Studie, in der Forscher den Harnstoffzyklus in Kieselalgen als ein Verteilungs- und Recyclingcenter für anorganischen Kohlen- und Stickstoff identifizierten.

Kieselalgen, in der Fachsprache Diatomeen genannt, sind der Hauptbestandteil des Phytoplanktons und bilden somit die Basis der marinen Nahrungskette. Da sie mit ihren Chloroplasten Photosynthese betreiben, kann ihnen auch ein großer Anteil an der Produktion des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre zugeschrieben werden. Ein Grund für den Erfolg der Kieselalgen bei der Besiedelung der Ozeane könnte sein, dass sie den ursprünglich nur bei Mehrzellern vermuteten Harnstoffzyklus aufweisen. Dabei handelt es sich um einen Stoffwechselweg, der bei Säugetieren dazu dient, überschüssigen Stickstoff in Harnstoff einzubauen und ihn somit aus dem Körper auszuscheiden.

Harnstoffzyklus als Aufbauhilfe statt Entsorgungsweg

Ein internationales Forscherteam hat jetzt herausgefunden, welchen Beitrag der Harnstoffzyklus zum Stoffwechsel der Diatomeen leistet. Die Forscher unter Beteiligung von Alisdair Fernie vom Potsdamer Max-Planck-Insitut für Molekulare Pflanzenphysiologie stellten dafür im Labor das sogenannte Auftriebsphänomen der Ozeane nach, bei dem nährstoffhaltiges Wasser aus tieferen Bereichen an die Oberfläche und damit in den Lebensraum der Kieselalgen steigt. Auf solch ein Überangebot an Nährstoffen nach einer Hungerperiode reagieren Kieselalgen sofort mit einer erhöhten Wachstums- und Zellteilungsrate. Im Labor verglichen die Forscher die Reaktion von normalen Zellen mit solchen, die keinen funktionierenden Harnstoffzyklus mehr besaßen.

Es zeigte sich, dass die Wachstumsrate bei den Zelllinien ohne funktionierenden Harnstoffzyklus um 15 bis 30 Prozent niedriger war als bei den normalen Zellen. Daraus lässt sich ableiten, dass der Harnstoffzyklus in Kieselalgen zum Aufbau von kohlen- und stickstoffhaltigen Verbindungen dient. Diese Erkenntnis ist äußerst überraschend, weil Tiere den Harnstoffzyklus hauptsächlich zur Entsorgung von überflüssigem Stickstoff und zur Regulation ihres Mineralienhaushalts verwenden. Es scheint, als ob der tierische Harnstoffzyklus sich aus einem evolutionär älteren Stoffwechselweg entwickelt hat.

Die Entdeckungen werfen somit ein neues Licht auf die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Kieselalgen, Pflanzen und Tieren. Bevor die Kieselalgen die Fähigkeit zur Fotosynthese erlangten, was sie verwandtschaftlich in die Nähe von Pflanzen und Grünen Algen rückt, waren sie vielleicht enger mit den Urahnen von Tieren verwandt.

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Gentransfer half bei Vernetzung der Stoffwechselwege

In den gleichen Experimenten zeigte sich, dass ein defekter Harnstoffzyklus auch andere Prozesse wie die Zellwandsynthese oder den Zitronensäurezyklus in den Kieselalgen negativ beeinflusst. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die unterschiedlichen Stoffwechselwege in Kieselalgen extrem gut miteinander verknüpft sind“, erklärt Fernie.

Es gibt bei Diatomeen besonders viele vom Harnstoffzyklus abzweigende Stoffwechselwege. So dienen zum Beispiel die Zwischenprodukte der Harnstoffsynthese, Arginin und Ornithin, zum Aufbau der Zellwandbausteine. Die dafür notwendigen Enzyme haben die Diatomeen durch lateralen Gentransfer von Bakterien erhalten. In der guten Verknüpfung der unterschiedlichen Stoffwechselwege liegt möglicherweise auch der Grund für die Überlegenheit der Kieselalgen gegenüber anderen Einzellern in den Ozeanen. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature10074)

(Max-PLanck-Gesellschaft, 13.05.2011 – NPO)

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