Mit ihren Antennen navigieren Insekten in ihrer Umwelt. Nicht nur Gerüche, sondern auch Tast- und Temperatursinn sind in den Fühlern verankert. Max-Planck-Wissenschaftler haben jetzt erstmals eine komplette Analyse der Gene vorgenommen, die in den Antennen des Tabakschwärmers am Geruchssinn beteiligt sind. Dabei konnten sie 70 verschiedene Rezeptoren in rund 100.000 Neuronen identifizieren, mit denen die Motten eine große Anzahl an Düften erkennen, die wiederum ihr Verhalten steuern.
Bei der Studie handelt es sich um die erste nahezu vollständige Analyse des Antennen-Transkriptoms einer natürlich vorkommenden Insektenart, berichten die Forscher in der Early Edition der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS). Die genetische Analyse der Antennen des Tabakschwärmers Manduca sexta schließt eine Lücke in der Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Insekten und Pflanzen: Wie gelangt eigentlich der Duft des Tabaks, bildlich gesprochen, in das Gehirn der Motte?
Wie nehmen Insekten Reize wahr?
Die Entschlüsselung der in den Fühlern aktiven Gene ist eine wichtige Grundlage, um herauszufinden, wie ein Insekt Reize wahrnehmen kann. Dazu bestimmten die Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena das so genannte Transkriptom der Antennen des Tabakschwärmers, also die Sequenzen der dort aktiven Gene (messenger RNAs oder mRNAs).
Demnach verfügt die in Nordamerika vorkommende Motte über 18 spezifische Duftstoff-bindende und 21 chemosensorische Proteine. Die Tabakschwärmer-Männchen besitzen den Wissenschaftlern zufolge zudem über 68 verschiedene Geruchsrezeptoren, die jeweils an einen Glomerulus – kugelförmiges Nervenbündel – gekoppelt sind. Weibchen wiederum haben 70 solcher „Reaktionseinheiten“. Die meisten dieser Rezeptoren konnten im Laufe dieser Untersuchung identifiziert werden.
Noch viele unverstandene Mechanismen
Eine große Anzahl, rund 69 Prozent, der Antennen-Transkripte lässt sich nach Angaben der Wissenschaftler keiner Genfunktion zuordnen – ihre Rolle in den Fühlern ist nicht erkennbar. Dies lässt vermuten, dass es viele noch unverstandene Mechanismen der Reizverarbeitung in den Antennen gibt, die jetzt aufgeklärt werden müssen. Einige der mRNAs lassen auf erhebliche Enzymaktivitäten schließen, beispielsweise Esterasen. Vorhanden ist auch eine größere Menge an Transkripten, die Genexpression steuern, ein Indiz, dass sich die Antenne flexibler an Umwelteinflüsse anpassen kann als bisher angenommen.
Simple genetische Ausstattung
Antennen scheinen trotz ihrer Beteiligung an komplexen Verhaltensweisen nach den Ergebnissen der Forscher in ihrer genetischen Ausstattung recht simpel zu sein. Zum Vergleich: Im Mitteldarm der Raupen sind nahezu doppelt so viele Gene aktiv wie in den Antennen der Falter. Ausschließlich in Männchen exprimiert sind nur 348 Antennen-Gene, während Weibchen immerhin 729 „eigene“ Gene für sich beanspruchen.
„Dies könnte daran liegen, dass die Weibchen befruchtete Eier an für den Nachwuchs optimalen Stellen ablegen. Beispielsweise auf Blättern des wilden Tabaks, wo sich die jungen Raupen ernähren können, ohne durch die Abwehrstoffe der Tabakpflanze geschädigt zu werden“, sagt Bill Hansson vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie.
Guter Geruchssinn
Der Geruchssinn ist bei Insekten enorm ausgeprägt. Eine geringe Konzentration an Molekülen in der Luft reicht aus, um von den Antennen der Tiere erfasst zu werden. Die Duftstoffe werden von Rezeptorproteinen in Nervenzellen in den Fühlern erkannt. Hat der Rezeptor ein Duftmolekül gebunden, werden den Wissenschaftlern zufolge chemische und elektrische Signale erzeugt, die im Gehirn des Insekts verarbeitet werden und schließlich dessen Verhalten bedingen. Neben Rezeptoren kommen weitere in die Geruchswahrnehmung involvierte Proteine ins Spiel, dazu gehören Enzyme und chemosensorische Proteine.
Motten als beliebte Forschungsobjekte
Neben Fruchtfliegen sind Schmetterlinge und Motten beliebte Forschungsobjekte. Das Genom der Seidenraupe Bombyx mori ist inzwischen vollständig sequenziert, allerdings ist dieses Insekt durch den Menschen über Jahrtausende hinweg domestiziert worden, weshalb ursprüngliche, unbeeinflusste Exemplare in der Natur nicht mehr auffindbar sind. Die „Gewohnheiten“ des amerikanischen Tabakschwärmers hingegen sind Gegenstand zahlreicher physiologischer Studien zur Erforschung des Geruchssinns in Insekten.
Darüber hinaus ist auch dessen Wirtspflanze Nicotiana attenuata, der wilde Tabak, zu einer wichtigen Modellpflanze ökologischer Forschung avanciert. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Early Edition, 2011; doi:10.1073/pnas.1017963108)
(Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, 18.04.2011 – DLO)