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Biologie

Käferschnecken sehen Fressfeinde mit Augen aus Stein

Experimente enthüllen Sehkraft von im Tierreich einzigartiger Augenkonstruktion

Käferschnecke Acanthopleura granulata auf einem Stein vor Guadeloupe © Hans Hillewaert / CC-by-sa 3.0

Mit ihren Augen aus kristallinem Kalziumkarbonat können Käferschnecken nicht nur hell und dunkel unterscheiden, sondern sogar Objekte sehen. Das zeigen jetzt Verhaltens-Experimente amerikanischer Forscher. Wie sie in der Fachzeitschrift „Current Biology“ berichten, reicht die Sehfähigkeit dieser im Tierreich einzigartigen Augenkonstruktion vermutlich aus, um Fressfeinde rechtzeitig wahrzunehmen.

Bei den meisten Tieren bestehen die Augen aus dem organischen Material, aus dem auch andere Körperzellen gemacht sind: Proteine, Pigmente, vielleicht noch ein Zellskelett oder ein Verstärkung aus Chitin wie bei vielen Insekten. Doch es geht auch anders: Käferschnecken (Polyplacophora) schützen ihre Augen durch ein Mineral: Aragonit. Mit dieser eingelagerten Kalziumverbindung sind nicht nur die Platten ihres Schutzpanzers gehärtet, sie bilden auch einen transparenten Schutz für die Lichtsinneszellen dieser Meerestiere.

„Es ist überraschend, wie diese Kreaturen ihre Augen aus Gestein erzeugen”, erklärt der Biologe Sönke Johnsen von der Duke Universität. „Andererseits scheint es ein einfacher Weg, Augen aus dem zu entwickeln, was man ohnehin hat.“ Die Aragonitplatten bilden eine Art Linse über den mehr als hundert jeweils in Gruppen zusammenstehenden Lichtsinneszellen. Wie gut die Käferschnecken mit diesen „Steinaugen“ sehen können, war bisher allerdings völlig unklar.

Schutzreaktion bei schwarzer Scheibe

Um das herauszufinden, führten Johnsen und sein Kollege Daniel Speiser Experimente mit der in der Karibik heimischen Käferschnecke Acanthopleura granulata durch. Diese rund sieben Zentimeter langen, eher unscheinbar bräunlichen Tiere leben in der Gezeitenzone und können auch ohne Wasser für einige Zeit überleben. Sind sie im Wasser ungestört, heben sie zum Atmen einen Teil ihres Panzers hoch, fühlen sie sich jedoch bedroht, pressen sie sich eng an den Boden odergraben sich ein.

Für die Sehtests platzierten die Forscher die Tiere auf einer Steinplatte und zeigten ihnen entweder eine schwarze Scheibe von Durchmessern zwischen zehn und 0,35 Zentimetern oder hielten einen halbtransparenten Filter vor das Licht, der in etwa die gleiche Lichtmenge schluckte wie die jeweilige Scheibe. Das Ergebnis war deutlich: Der graue Schirm löste keinerlei Reaktion aus. Sobald aber 20 Zentimeter über der Käferschnecke eine schwarze Scheibe von mindestens drei Zentimetern Durchmesser erschien, zog sie sich zusammen und nahm ihre Schutzstellung ein.

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Objektsehen unter und über Wasser

„Es scheint, als wenn sie Objekte sehen können, wenn auch nicht gerade gut”, erklärt Speiser. Weitere Experimente ergaben, dass die Käferschnecken diese Scheiben sowohl in Wasser als auch an Land sehen konnten. Die Ergebnisse sprechen nach Ansicht des Biologen Michael Land von der Universität von Sussex dafür, dass die Placophoren ihre Augen auf unterschiedliche Weise fokussieren, je nachdem, ob sich das Tier über oder unter Wasser befindet.

Und noch etwas zeigte die Reaktion der Placophore auf die dunkle Scheibe: Während die anatomisch durchaus ähnlichen Augen von Schnecken und Nacktschnecken auf das Auftreffen von Licht reagieren, scheint der Sehsinn der Käferschnecken vor allem auf das Abnehmen von Licht, eine Abdunkelung eines Sehbereichs zu reagieren.

Älteste Tiere mit jüngsten Augen

Seltsam ist auch, dass die bereits vor mehr als 500 Millionen Jahren entstandene Tiergruppe den größten Teil ihrer Existenz ohne Augen verbrachte. Diese bildeten sich erst vor rund 25 Millionen Jahren heraus und sind damit sogar die jüngsten ganz neu entstanden Augen im Tierreich. Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, entwickelten die Käferschnecken ihre Linsenaugen, um erst spät entstandene Fressfeinde besser erkennen und sich so rechtzeitig schützen zu können.

(Duke University, 15.04.2011 – NPO)

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