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Chemie

Ein Zuckerfabrikant aus der Retorte

Enzym als Synthesemaschine für maßgeschneiderte Zucker, die in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz kommen können

Zuckermolekül © NASA

Forscher aus Würzburg und Braunschweig haben entschlüsselt, wie ein bestimmtes Enzym in der Natur große Zuckermoleküle baut. Mit dem neuen Wissen können sie jetzt maßgeschneiderte Zucker herstellen, die in der Lebensmittelindustrie als so genannte Präbiotika Verwendung finden.

Als Zugabe zu Joghurts oder Babynahrung dienen diese bestimmten Darmbakterien als Nahrung und üben so indirekt einen gesundheitsfördernden Einfluss auf die Darmflora des Menschen aus.

Wie ein Kasten voller Lego-Steine

Bildlich gesehen gleicht die Welt der Zucker ein wenig einem großen Kasten voller Lego-Steine. Da gibt es große Bausteine und kleine, manche sind rot, andere blau und dritte vielleicht gelb. Auf Zucker bezogen, heißt das: Es gibt grundlegende Moleküle wie beispielsweise Glukose oder Fruktose, Laktose oder Galaktose, die sich untereinander kombinieren lassen – genauso wie die bunten Lego-Steine. Bilden Glukose und Fruktose ein Paar, sprechen Chemiker von Saccharose.

Wer jetzt noch genügend Fantasie besitzt und sich vorstellen kann, dass sich all diese Bausteine in unterschiedlicher Reihung zu unterschiedlich langen Ketten zusammenstecken lassen, von denen hin und wieder auch noch Seitenarme abgehen, der hat ein ungefähres Bild von der komplizierten Welt der Zucker.

Forscher bauen Zuckerverbindungen nach

Jürgen Seibel, Professor für Organische Chemie an der Universität Würzburg, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit solchen Zuckermolekülen. Gemeinsam mit seinem Team spürt er biologisch wichtige Zuckerverbindungen auf, baut sie im Labor nach und untersucht ihre Funktionen.

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Eine dieser Zuckerverbindung ist das so genannte Levan. Mit der Unterstützung von Chemikern und Biologen der Universität Würzburg, der Technischen Universität (TU) Braunschweig und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsbiologie konnte Seibel jetzt in seiner neuen Studie entscheidende Details des Aufbaus dieses Zuckermoleküls aufdecken.

Zucker ist auch für Bakterien essenziell

Lange Zuckerketten – Chemiker sprechen von Polysacchariden – übernehmen in Pflanzen, Mikroorgansimen und Menschen entscheidende Funktionen. In bestimmten Konfigurationen, zu denen auch Levan gehört, sind sie für Bakterien lebensnotwendig. Sie unterstützen deren Wachstum und sind damit beispielsweise indirekt am Aufbau einer gesunden Darmflora beteiligt.

Im Gegenzug stehen sie auch in der Verantwortung, wenn Bakterien einen Biofilm bilden und sich zur gefürchteten Plaque an Zähnen und Zahnfleisch zusammenballen. Fehlt es an ihnen, können sich andererseits krankheitserregende Bakterien nicht vermehren.

Verknüpfung im Turbotempo

„Verantwortlich für den Aufbau von Fruktanen des Levan-Types ist ein extrazelluläres bakterielles Enzym, die Levansucrase“, erklärt Seibel. Dieses Enzym setzt die Glukose aus dem Zucker Saccharose frei und fügt die frei gewordenen Reste zu Levan zusammen. Dabei hat es nicht schlecht zu tun: Levan besteht aus immerhin 16.000 Fructose-Einheiten. Allerdings war bislang unklar, wie das Enzym diese Leistung vollbringt.

„Uns ist es erstmals gelungen, auf der Oberfläche des Enzyms für das Kettenwachstum verantwortliche Abschnitte und Aminosäuren zu identifizieren, die mit dem wachsenden Polymer wechselwirken“, sagt Seibel. Fasziniert ist der Chemiker von der Geschwindigkeit, mit der das Enzym seine Arbeit leistet: Pro Sekunde werden 2.000 Fruktose-Moleküle wie Perlen zu einer Kette geknüpft.

Einsatz in der Lebensmittelindustrie

Die Entdeckung dient nicht nur als Grundlagenwissen über den Auf- und Abbau dieses Zuckers. Wie Seibel sagt, sei auch eine industrielle Nutzung denkbar: „Mit den neu gewonnenen molekularen Kenntnissen ist es uns gelungen, den Aufbau der Polymere maßzuschneidern und das Enzym als Synthesemaschine für kleinere Zucker zu nutzen.“ Solch kleinere Zucker könnten beispielsweise in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz kommen. Das Stichwort dafür lautet Präbiotika. (Journal of Biological Chemistry, 2011; doi:10.1074/jbc.M110.203166)

(Universität Würzburg, 29.03.2011 – DLO)

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